Das Fest – Inszenierung der „neuen“ Studiobühne Erlangen

Das Fest“ beinhaltet eine Geschichte, an der PsychologInnen und PsychotherapeutInnen nur schwer vorübergehen können. So waren wir zweifach motiviert, einmal vom Thema und seiner Bearbeitung, zum anderen verfolgen wir gelegentlich ganz gerne, was die „neue“ Studiobühne so entwickelt.

Wir entnehmen die Handlung Wikipedia (Abruf 21.4.11): „Der Hotelier Helge Klingenfeldt-Hansen feiert seinen 60. Geburtstag auf seinem Anwesen. Kurz vor Beginn der Feier treffen sich dort seine drei Kinder Christian, Michael und Helene. Die Stimmung scheint hin- und hergerissen zwischen Wiedersehensfreude, den persönlichen Differenzen der einzelnen Charaktere und der Trauer über den Selbstmord von Christians Zwillingsschwester Linda. Gemeinsam begrüßen sie dann die ankommenden Gäste. Das Fest beginnt, als Helge und seine Frau Else den Saal betreten.
Es ist zu sehen, dass Christian ein enges und freundschaftliches Verhältnis zu den Bediensteten hat. Vor allem Kellnerin Pia, die in Christian verliebt ist, und der Koch Kim, Christians bester Freund aus Kindertagen, scheinen ihm sehr nah zu stehen. Helene geht in Lindas früheres Zimmer, in dem sie nun übernachten soll. Sie sieht sich intensiv um und entdeckt einen versteckten Brief. Sie liest ihn und reagiert heftig. Hektisch flüsternd lässt sie den Brief in einem Tablettenröhrchen verschwinden.
Zum Essen sind alle um den Tisch versammelt. Als ältester Sohn hält nun Christian eine Rede, in welcher er offen, fast analytisch darlegt, wie er und Linda von seinem Vater als Kinder sexuell missbraucht wurden. Es herrscht Schweigen am Tisch. Christian verlässt die Tafel, geht in die Küche zu Kim. Er plant, nun abzureisen.
Währenddessen kommt Helenes Freund Gbatokai an, der sich auf dem Fest ob seiner afrikanischen Herkunft Ablehnung und sogar Rassismus gefallen lassen muss. Vor allem Michael ist ihm gegenüber feindselig.
In der Küche weist Kim Christian deutlich darauf hin, dass seine Geschichte abgetan würde und wirkungslos bliebe, wenn er nicht weiter für die Wahrheit kämpfe. Wie gerufen kommt darauf hin Helge herein und bestreitet alle Vorwürfe. Christian kehrt mit seinem Vater an den Tisch zurück, ergreift das Wort erneut und gibt seinem Vater offen die Schuld an Lindas Selbstmord. Helge stürmt daraufhin aus dem Saal, es entsteht eine Pause. Viele der Gäste wollen das Anwesen verlassen, was nicht möglich ist, da das Personal auf Kims Anweisung hin sämtliche Autoschlüssel versteckt hat. Christian bleibt allein im Saal, Helge kommt zu ihm und versucht, ihn einzuschüchtern. Die Gäste kommen zurück, das Fest soll weitergehen.
Else spricht nun; sie betont Christians geistig labilen Zustand als Jugendlicher und fordert ihn auf, sich bei seinem Vater zu entschuldigen. Hierauf offenbart Christian, dass seine Mutter von dem Missbrauch wusste und nichts unternahm. Er wird aus dem Haus gezerrt, kann aber erneut die Feier stören. Daraufhin bindet man ihn im nahen Wald an einen Baum.
Im Haus geht das Fest weiter, der Alkohol fließt. Nach einem Missverständnis mit Gbatokai beginnt Michael, ein rassistisches Lied zu singen, die Festgesellschaft stimmt ein. Die gesamte Situation belastet Helene sehr, sie muss sich übergeben und bittet darauf hin Pia, ihr ihre Tabletten zu holen. Pia findet so den Brief, und bringt ihn Christian, der sich befreien konnte und wieder im Haus ist. Christian legt dem Toastmaster einen anonymen Zettel an den Platz, auf welchem nach Festtradition der Name der Person steht, die nun eine Rede halten muss. So ist Helene gezwungen, den Brief vorzulesen.
Linda schreibt darin, dass sie sich, traumatisiert durch die Angst vor erneutem Missbrauch durch ihren Vater, das Leben nahm. Wieder kehrt Stille ein. Der nun entlarvte Helge beleidigt seine Kinder aufs Heftigste und verlässt tobend den Raum, Else folgt ihm. Nachdem sich die meisten Gäste auf ihre Zimmer zurückgezogen haben, erscheint Michael völlig betrunken und außer sich vor dem Nebenhaus und klingelt Helge aus dem Schlaf. Mit Tränen in den Augen prügelt er auf seinen Vater ein, welcher wehrlos die Schläge und Tritte über sich ergehen lässt. Am Morgen beim Frühstück erkennt Helge seine Schuld an der Zerstörung der Familie und die Unverzeihlichkeit seines Verbrechens an. Nach Michaels Aufforderung verlässt er allein den Tisch.“

Themen

  • Familie
  • sexueller Missbrauch von Kindern und seine
  • (möglichen) Folgen bei den Opfern bis hin zum
  • Selbstmord
  • Komplizenschaft des Partners und anderer Eingeweihter
  • Abwehr: Wegschauen, verleugnen, verdrängen gegenüber
  • angemessene Aufarbeitung
  • Konflikterleben, Konfliktarfahrung, Konfliktbewältigung
  • Konfrontation, Aufdeckung, Abrechnung, Rache und die (möglichen) Folgen
  • Übernahme von Verantwortung
  • Umgang mit Schuld und Sühne
  • Annehmen von Schuld und Sühne
  • Vielschichtigkeiten der Persönlichkeiten und ihres Verhaltens
  • Widersprüchliche Vielfalt der Charaktere (Täter und Opfer)

Eindrücke von der Inszenierung

Neu war für uns die simultane Darstellung mehrerer Parallelszenen, wofür sich der Mensasaal trotz akustischer Mängel aber vorzüglich eignete. Einbezogene szenische Orte: (1) Treppenhaus außerhalb des Hotels und Festsaales, (2) Empfang am Haupt-Eingang, (3) Festsaal, (4) Zimmer oben auf der Bühne, (5) Küche (rechts der Bühne), (6) Flur (links der Bühne), (7) Stehecke parallel zur Festtafel. So hatten Auge und Gehirn den Gesamtraum zu verwalten, was allerdings gut möglich war, da die Parallelszenen meist still abliefen: Telefonat der Empfangsdame, Unterhaltung an der Stehecke, Geschehen auf dem Zimmer oder im Saal.


Szenen aus DAS FEST – Bildrechte bei Studiobühne: Begrüßung zu Beginn, Empfang, Vater und missbrauchter Sohn, Gäste Stehecke.

Der dramatische Kontrast Fest und öffentliche Aufdeckung des Missbrauchs
Die Aufführung dauerte knapp 75 Minuten. Aber das Stück kommt relativ schnell zur Sache. Im Begrüßungsvorfeld werden bereits einige Konflikte deutlich. Michael war nach früheren Ausfällen gar nicht eingeladen und scheint auch noch verkracht mit Schwester Helene, die in dieser Inszenierung als lesbisch eingeführt wird, worüber sich Bruder Michael  – von Matthias Maser eindrucksvoll dargestellt – zusätzlich erregt. Er wird als promiskuitiver Macho vorgeführt, der immer und überall Quickiequalitäten zu entfalten weiß – auch mit Folgen bei der einen oder anderen Gelegenheit. Der Selbstmord der Schwester Linda wird übergangen. Dieses Übergehen kriegt man erst allmählich mit. Und nach kurzer Einführungsrede des nett wirkenden Vaters, der an seinem 60. Geburtstag geehrt werden soll, steht sein Sohn Christian auf und konsterniert die Festgäste mit seiner Missbrauchsrede. Der Schock über den ungeheuerlichen Inhalt  ist so groß, dass der Vorwurf zunächst von der ganzen Runde verleugnet, d.h. ausgeblendet wird, als ob er nicht geäußert worden wäre. Damit ist für starke Spannung gesorgt und die Geschichte wird Zug um Zug dramatisch entwickelt. Um zu verhindern, dass sich die Gäste der ungeheuerlichen Wahrheit vorzeitig durch Abreise entziehen, hat Kim das Personal angewiesen, alle Autoschlüssel zu verstecken.

Das Faszinosum bürgerlicher Verlogenheit und Verleugnung
Zunächst sorgt der Jägerchor (aus dem Freischütz), bei dem die Runde mit schmettert, für einen dramatisch-grotesken Kontrast (Der Vater ist Jäger und gerade von einer Jagd zurückgekehrt.). Aber das Überspielen gelingt nur kurz. Obwohl Christian in seiner zweiten Rede zunächst den Anschein erweckt, als wollte er seine Vorwürfe zurücknehmen, bekräftigt er sie. Soweit, dass er dem Vater die Schuld an dem Selbstmord der Schwester gibt: „Trinken wir auf den Mörder meiner Schwester.“ Ein weiterer Höhepunkt der Verleugnung im Stück ist zweifellos die surreal anmutende Polonaise, eine irre Szene, in der mit extremer Heiterkeit die schockierenden Mitteilungen überspielt werden. Geradezu doppeldeutig-widersprüchlich erschien die Maskerade, die Assoziationen an Fasching hervorrief: da wird ebenso gefeiert wie die Sau rausgelassen und die Wahrheit gesagt. Gut ins bürgerliche Bild passt auch der Versuch der Mutter in ihrer Rede über ihre Kinder, den aufdeckenden Sohn Christian als Fantasten zu neutralisieren statt ihre Duldung und Mitwisserschaft zu bekennen.


Szenen aus DAS FEST – Bildrechte bei Studiobühne

Allmählich wendet sich das Blatt und die Wahrheit scheint mehr und mehr zu ergreifen. Dies findet seinen Höhepunkt und Abschluss in der Verlesung des Abschiedsbriefes von Linda durch Helene. Alle schweigen als der Vater aufsteht und sich dazu versteigt, sie zu beschimpfen: „Ihr wart nicht mehr wert“. Es kommt wieder zum Eklat als Michael auf den Vater losgeht und auf ihn einprügelt. Am nächsten Morgen, am Ende, schließlich räumt er seine Schuld ein.

Und die Moral von der Geschicht? Die Lüge trägt auf Dauer nicht. Jedenfalls nicht, wenn es um solche Dimensionen geht. Das wurde eindrucksvoll dargestellt.

Irmgard Rathsmann-Sponsel und Rudolf
http://www.sgipt.org/kunst/theater/DasFest.htm