Herausfordernder Prometheus
Zehn Personen kommen mit Koffern auf die Bühne, ziehen sich um, es herrscht geschäftiges Treiben. Plötzlich fallen Blätter, es wird hell und still, sämtliche Tätigkeiten finden ein abruptes Ende. Die Figuren bilden auf dem Boden liegend einen Kreis und werden zu einer Telefondienststimme: „Ihre Verbindung wird gehalten“. Eine der Personen beginnt zu telefonieren, streitet sich mit einer ihr wohl nahestehenden Person – und legt auf.
Viel Interpretationsspielraum lässt er offen, der Beginn des Stückes prometheuskomplex (zur Vorankündigung geht es hier) der Studiobühne, das am Donnerstag im Frankenhof Premiere feierte. Die Rahmenhandlung soll hier wohl installiert werden: zehn Personen an einem Bahnhof, von dem sie nicht abreisen können, und wo sie mit der Frage nach dem Sinn des Lebens konfrontiert werden. Ob sich der Sinn der Rahmung dem Zuschauer erschließt und er die Szene überhaupt einordnen kann, bleibt dabei fraglich, zumal das Baugerüst, das die Kulisse darstellt, nicht direkt Assoziationen mit Bahnhöfen hervorruft.
Aber sowohl Rahmen als auch Handlung sind zweitrangig, das Stück ist eine Aneinanderreihung von Szenen, die auch vertauscht werden könnten, und zeigt keine in sich zusammenhängende Entwicklung – und zwar ganz bewusst. Die Frage nach Veränderung im Leben soll im Vordergrund stehen, verschiedene Lebensentwürfe vorgestellt werden.
Starke Szenen auf zwei Ebenen
Hierzu bedienen sich die Regisseure des Stücks Lydia Victor und Maximilian Nix zweier Ebenen: Eine, auf der die Schauspieler als die von ihnen selbst entworfenen Figuren agieren, und eine, auf der sie nicht mehr die eigentliche Figur, sondern eine Art Mittel zur Illustration von Gedankengängen sind. Das Gerüst erweist sich hierfür als sehr nützlich, lässt starke Bilder und Szenen entstehen. Dann beispielsweise, wenn ein Reisender (überzeugend gespielt von Richard Holfeld) anhand von komplexen physikalischen Überlegungen durchrechnet, ob es wohl möglich ist, die Erde anzuhalten. Seine Erklärungen werden von allen anderen Schauspielern illustriert, die hier nicht in ihren eigentlichen Rollen agieren, sondern die hier geforderten Kraftanstrengungen dokumentieren, die sich im Kopf des Physikers abspielen. Das Ergebnis: Gäbe es deutlich mehr Einwohner als es der Fall ist, die zudem alle stärker als Blauwale wären, und würden diese alle gleichzeitig am Äquator entlang rennen, könnte man die Erde für vier Sekunden anhalten. Die Szene bringt unwillkürlich zum Lachen, natürlich. Andererseits scheint die Figur verzweifelt unverhältnismäßige Anstrengungen aufzubringen – Veränderung als Kraftakt und immense Herausforderung mit verschwindend geringem Ergebnis.
„Moment, ich hatte ihn gerade, den Sinn“
Eine immense Herausforderung ist auch die Anlage des Stücks – sowohl für die Inszenierenden als auch für die Zuschauer. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist grundsätzlich inzwischen so häufig gestellt, dass sie in trivialisierten Antworten verloren zu gehen scheint. Und so erscheinen auch in prometheuskomplex Passagen, die sich auf einem schmalen Grad zwischen unbewusster Trivialisierung und intendierter Ironie bewegen: Beispielsweise, wenn vom Knoblauch in der Salatsauce gesprochen wird, der zu Glücksmomenten verholfen hat.
Will man andererseits diese Trivialisierung verhindern, entstehen überkomplexe Zusammenhänge, die ohne hohe Deutungsleistung Sinn-Salat auszulösen drohen. So der im Titel angedeutete Bezug zu Prometheus, der am Ende des Stückes aufgegriffen wird. Nachdem verschiedene Fragen im Zusammenhang mit dem richtigen Leben aufgeworfen wurden und eine Figur verkündet, tatsächlich glücklich zu sein, das Stück also scheinbar eine eher positive Wendung zu nehmen scheint, rezitieren alle Figuren gemeinsam den Prometheus von Goethe. Die Frage nach Veränderung als Anknüpfungspunkt ist deutlich, in dem Gedicht geht es aber vor allem auch um die Frage nach dem Verhältnis von Mensch zu Gott. Es wird also ein weiterer Themenbereich eröffnet, der Zuschauer mit noch mehr Interpretationsmaterial entlassen. Das kann sehr bereichernd sein und prometheuskomplex eignet sich definitiv als Anregung zu fruchtbarer Reflektion – allerdings nur dann, wenn der Zuschauer aktiv die Verbindung hält.
Vera Podskalsky
http://www.reflexmagazin.de/2014/05/31/herausfordernder-prometheus/