Vereinsgeschichte

I. Aufbruch auf Dauer

Die „neue“ Studiobühne seit 1982

Spricht man über die Studiobühne, fällt der Blick zumeist auf die ersten 20 Jahre nach dem Krieg, als das studentische Theater Europas regelmäßig in die kleine Hugenottenstadt blickte. Die Studiobühne Erlangen trat als Organisatorin der „Internationalen Festwoche der europäischen Studentenbühnen“ in Erscheinung und prominente Namen wie Claus Peymann und Hans-Magnus Enzensberger bewegten sich in ihrem Umkreis. Hier liegen die Ursprünge für gleich zwei Erlanger Institutionen, denn auch das studentische Theaterfestival „Arena … der jungen Künste“ darf seine Wurzeln legitimerweise bis dorthin zurückschreiben. Im Rahmen des Festivals – der organisierende Verein wurde 1989 gegründet – erscheint bis heute eine begleitende Festival-Zeitschrift mit dem Namen „Spots“, deren Name nicht zufällig an die damalige Festivalzeitung „Spotlight“ erinnert. Von den ruhmvollen Anfängen soll diesmal aber nicht die Rede sein.¹

Das Theaterfest „Spielwiese für alle“ feiert nämlich zehn Jahre „Studiobühne Erlangen“ – und das überrascht. Denn eigentlich sind es doch wohl eher über siebzig. Und blicken wir auf den eingetragenen Verein, stellen wir fest: dieser wurde im Jahr 1982 gegründet. Was wissen wir heute – zehn Jahre, nachdem sich eine Gruppe von Studierenden zusammenfand, die seit 2009 gemeinsame Theatererinnerungen teilt – noch von den Anfängen, die bislang doch immerhin länger währten, als die Fortsetzung, die wir heute feiern? Was wissen diejenigen, die heute jung sind und studieren, von den Erinnerungen der letzten zehn Jahre, von den Erinnerungen derjenigen, die vielleicht noch jung sind, aber inzwischen Berufen nachgehen, ihren Lebensmittelpunkt verlagert haben, sich mal mehr, mal weniger mit den Erinnerungen verbunden fühlen?

„vom Einfluß höherer Instanzen befreit“

Der 6. April 1982 steht eigentlich im Zeichen eines Ausbruchs, der den Ausgangspunkt für einen Aufbruch ins Ungewisse darstellt. Eine Gründungsversammlung von zwölf Mitgliedern wählt Edmund Frey, Karlheinz Holup, Stefan Reusch, Achim Kasch und Ruth Siegmund einstimmig zu Vorsitzenden einer Gruppierung, die kurz darauf ins Vereinsregister eingetragen wird als Studiobühne Erlangen e.V.. Die einstige Initiative der Erlanger Universität steht damit zwar auf noch wackeligen, aber eben auch den eigenen Beinen. Am 30. März desselben Jahres hatte ein provisorischer Vorstand bereits an den Uni-Präsidenten, damals der Kernphysiker Nikolaus Fiebiger, zwecks Nutzung des Experimentiertheaters geschrieben. Die Nutzung wird durch die Universitätsverwaltung verwehrt, denn das Experimentiertheater – so die Begründung – stehe nur für Lehrveranstaltungen der theaterwissenschaftlichen Abteilung zur Verfügung. Und es kommt noch besser: die Theaterwissenschaft erreicht eine Rechnung über 412,30 DM, die von dort an die Studiobühne weitergleitet wird. Konkret geht es um Bauarbeiten, die wohl für die „alte“ Studiobühne notwendig geworden waren. Für ein Opernprojekt „mußte der Orchestergraben ausgehoben werden. Ahmed Abdou, technischer Leiter des Experimentiertheaters, bat das Bauamt der Uni um Hilfskräfte. Zwei Arbeiter kamen – und nun die Rechnung.“² Immerhin aber war man „vom Einfluß höherer Instanzen befreit“.³

Aus der Eigenständigkeit folgen nun aber ganz handfeste Probleme bei der Durchführung von Theaterprojekten. Ohne das Experimentiertheater fehlt der „Ausgründung“ ein geeigneter Raum für Proben und Aufführungen. Das Problem begleitet den Verein durch die ersten Jahre. Und dem regelmäßigen Besucher von Studiobühnen-Inszenierungen kommen die Alternativen noch heute vertraut vor. So wird etwa Monika Müllers Inszenierung von Wolfgang Bauers „Change“ am 15., 16. und 22. Februar sowie am 1. März 1984 im E-Werk aufgeführt. Als im Januar 1984 die erste Ausgabe eines „Studiobühnenblatt“⁴ erscheint, das als monatliches Vereinsorgan angelegt ist, ist darin auch von der Suche nach einem festen Aufführungsort zu lesen. Ziel sei es, „in naher oder ferner Zukunft einen eigenen Raum zu bekommen, der groß genug für Proben und Aufführungen wäre (z.B. ein leerstehender Teil einer Fabrik).“⁵ Erst 1985 geht dieser Wunsch in Erfüllung. Am Altstädter Kirchplatz eröffnet die Studiobühne Erlangen das „Theater im Gewölbe“, das „in teilweise[r] Eigenleistung“⁶ renoviert wird; 1991 aber wegen baulicher Mängel wieder geschlossen wird.

Trotzdem ist die Studiobühne weiterhin europaweit präsent. Vom 6. bis 10. März 1984 gastiert man auf Einladung des „Maison Heinrich Heine“ mit der Produktion Lysistrata in Paris.⁷ Solch „große Sprünge“ sind freilich auch durch eine großzügige Förderung der Stadt möglich, die jährlich vier Theaterproduktionen mit jeweils etwa 1200 DM unterstützt. Dies dürfte heute wohl einem Stückbudget von etwa 1000 € entsprechen und mag vielleicht als Anreiz für die zukünftige Entwicklung des Vereins dienen. Gleichwohl sind beispielsweise Gagen nicht vorgesehen, denn den Vereinsmitgliedern geht es um etwas anderes: „Alle, die spielen, Regie führen, Bühnenbilder bauen und Kostüme schneidern, machen dies aus Spaß am Theaterspielen.“⁸ Eine historische Kontinuität von 1946 bis heute – auch Hans-Magnus Enzensberger hat in seiner Reminiszenz an die Studiobühne den Aspekt gemeinschaftlicher Produktivität hervorgehoben:

„Bald stachen die zugereisten Künstler ihre Gastgeber aus. Sie zeigten sich allein schon durch ihr Temperament und ihre gute Laune überlegen. Dafür durfte jeder, der sich der heimischen Studiobühne anschloß, bei allem mithalten, was ein Theater braucht. Alle malten Plakate, verkauften Karten, kümmerten sich um die Verpflegung und pinselten Kulissen. M. mimte den Dolmetscher und Dramaturgen und redigierte ein winziges Blättchen für die Teilnehmer, das er Spotlight nannte. Einmal wagte er sich sogar auf die Bühne und trat in Tiecks Gestiefeltem Kater auf. Seine schauspielerische Leistung kam den Zuschauern und ihm selber so verheerend vor, daß er beschloß, sich nie wieder in diesem Metier zu versuchen.“⁹

Das wilde Reich der Phantasie

Das Moment des Experimentierens, das Enzensberger im obigen Zitat hervorhebt, ist auch für die „neue“ Studiobühne von 1982 von entscheidender Bedeutung. „Wenn sich Studenten der Theaterwissenschaft in die Gefilde der Praxis begeben, so endet dies bisweilen mit einer perfekten Bruchlandung.“¹⁰ Ein Theaterforum, das von der universitären Theaterwissenschaft organisiert wird, eröffnet nicht nur ein solches Experimentierfeld für „Prototypen mit deutlich sichtbaren Kinderkrankheiten“¹¹, sondern auch die Möglichkeit mit eigenen Produktionen wieder im Experimentiertheater Fuß zu fassen.

Für die nächsten 27 Jahre ist dieser Aufbruch der ersten zwei Jahre auf Dauer gestellt. Immer wieder gibt es Phasen, in denen es um die Studiobühne stiller wird, nur um mit neuem Elan die Realisierung von Theaterprojekten anzugehen. So etwa 1997, als im Protokoll der Jahreshauptversammlung proklamiert wird: „Nach einer längeren Kunstpause wird mit Genugtuung festgestellt, daß die Studiobühne Erlangen endlich wieder im Spätherbst 1997 mit zwei Wiederaufnahmen und einer Premiere im Erlanger Kulturleben massiv vertreten sein wird.“¹² 2002 wird dieser Anspruch noch einmal bekräftigt: „Die Studiobühne will wieder verstärkt in der Erlangener Öffentlichkeit präsent werden.“¹³ Dass ein guter Teil der Projekte in Fürth oder Nürnberg zur Aufführung kommt, ist mithin auch vor zwanzig Jahren schon ein vieldiskutiertes Thema.

Bis zur Übergabe des Vereins an Levin Handschuh, Dany Knechtel und Matthias Nadler, mit denen das kollektive Gedächtnis der Studiobühne heute einsetzt, führen Joachim Rudolph (ab 1990), Heijko Bauer (ab 1995) und Katharina Tank (ab 1998) die Studiobühne in das neue Jahrtausend. Ein großer Erfolg wird 1995 der „Simplicissimus Teutsch“, den die Nürnberger Zeitung als „eine von Einfallsreichtum überschäumende Inszenierung“¹⁴ feiert. Ein weiteres Highlight – und gewissermaßen auch Endpunkt einer zwei Jahrzehnte währenden Phase von äußerer Stabilität – ist sicher die Performance „CLINIC – amorph fictions“, die 2004 auch auf der Leipziger Buchmesse gezeigt wird. Laut einem notariellen Schreiben hat der Verein zum Zeitpunkt der Übergabe ein Vermögen von 55,99 € und 36 Mitglieder. Heute, zehn Jahre später, hat die Studiobühne ca. 100 Mitglieder und spielt zehn Stücke pro Spielzeit. Und was wir von hier aus sehen und verstehen: Studentisches Theater, das ist der auf Dauer gestellte Aufbruch; aus dem Zufälligen, aus dem freien Raum des Verlassenen und Zerstörten entstehen immer wieder aufs Neue Bretter, die vielleicht einmal die Welt bedeuten. So war es 1946, 1982 – und 2009. Und in Zukunft? Mit und gegen Schiller gesprochen formiert sich der Wunsch, das wilde Reich der Phantasie möge bestehen und „die Bühne […] wie die Welt entzünden.“¹⁵

Autor: Timo Sestu

Dieser Artikel erschien im Rahmen des Theaterfests „Spielwiese für alle“ 2019. (Studiobühnenblatt Nr. 3, Jubiläumsausgabe 2019, Jul. 2019, S. 9-12.)

    1. Zuletzt wurde ihrer anlässlich des 300-jährigen Bestehens des Erlanger Stadttheaters gedacht. Udo Eidinger, Zweiundzwanzig wilde Jahre des (nicht) Erwachsenwerdens. Studententheater in Erlangen von der Nachkriegszeit bis 1968, in: 300 Jahre Theater Erlangen. Vom hochfürstlichen Opern- und Komödienhaus zum Stadttheater der Zukunft, hg. v. Karoline Felsmann und Susanne Ziegler, Berlin 2019, S. 56-61.
    2. Protokoll der Gründungsversammlung der Studiobühne Erlangen e.V. vom 6.4.1982, S. 2, Amtsgericht Fürth, Registerakten VR 20640.
    3. Studiobühnenblatt Nr. 1, Jan. 1984, S. 2.
    4. Schon nach zwei Ausgaben ist mit dem publizistischen Experiment aber schon wieder Schluss. Mit dem Erscheinen dieser dritten Ausgabe wird mithin auch der historischen Anfänge der Studiobühne Erlangen e.V. gedacht.
    5. Studiobühnenblatt Nr. 1, Jan. 1984, S. 1.
    6. Protokoll der Jahreshauptversammlung 1988, Amtsgericht Fürth, Registerakten VR 20640, Bl. 66.
    7. Studiobühnenblatt Nr. 2, Feb. 1984, S. 6.
    8. Studiobühnenblatt Nr. 1, Jan. 1984, S. 1.
    9. Hans Magnus Enzensberger, Eine Handvoll Anekdoten, auch opus incertum, Berlin 2018, S. 201.
    10. Studiobühnenblatt Nr. 2, Feb. 1984, S. 7.
    11. Ebd.
    12. Protokoll der Jahreshauptversammlung vom 29.07.1997, Amtsgericht Fürth, Registerakten VR 20640, Sonderband I, Bl. 13.
    13. Protokoll der Jahreshauptversammlung vom 14.12.2002, Amtsgericht Fürth, Registerakten VR 20640, Sonderband I, Bl. 29.
    14. Nürnberger Zeitung vom 23.01.1995, S. 24.
    15. Friedrich Schiller, An Goethe, als er den ‚Mahomet‘ von Voltaire auf die Bühne brachte, online verfügbar unter: https://www.friedrich-schiller-archiv.de/gedichte-schillers/lange-gedichte/an-goethe/ [zuletzt aufgerufen am 18.06.2019].

II. ALTES LOGO

Das alte Logo der Vorläufergruppe der im Jahr 2009 wiedergegründeten Studiobühne mit dem Namen „ThalMeTer“ setzte sich, ebenso wie der Name selbst, aus den Initialen dreier olympischer Musen zusammen. Bald darauf wurde es durch den Schriftzug des Vereinsnamen abgelöst.

Thalia: Muse der Komödie

Melpomene: Muse der Tragödie

Terpsichore: Muse der Lyrik und des Tanzes