Nach dem Frühlingserwachen!
Die Tische vor der Yoghurtbar sind gerammelt voll, es wird langsam warm, so scheints. Genau hier treffe ich Andreas Pommer. Ich habe mein Portemonnaie zu Hause liegen lassen, aber charmanterweise gibt er mir ein Eis aus. Wundervoll! Frühling!
Die Studiobühne Erlangen bekommt immer mehr Zuwachs, an Schauspielern sowie an inszenierungswütigen Regisseuren. Andreas Pommer studiert Englisch, Sozialkunde und Geschichte auf Lehramt und dazu „Darstellendes Spiel“. Für seine erste Regie an der Studiobühne hat er sich Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ ausgesucht, also ein Stück, das um die Jahrhundertwende entstand und damals für große Furore sorgte.
Es beschreibt nämlich das Erwachen der Sexualität von Jugendlichen in einer zugeknöpften Gesellschaft. Der arme Moritz muss sich da noch statt mit Pornoheften mit detaillierten Beschreibungen seines Freundes Melchior begnügen. Schreckhaft und sensibel begegnet er der Pubertät und zerbricht schließlich an ihren Wirren. Melchior landet für die verwerfliche Schrift in einer Korrektionsanstalt. Davor aber schwängert er noch Wendla, die einen Sommer zu lang das kurze Mädchenkleid trägt und die von ihrer Mutter keine Auskunft über das Lieben bekommt, obwohl sie sie danach fragt. Ganz nach Art der zwanziger Jahre verschwindet Ilse im Trubel der Großstadt, wo sie als Modell von Künstler zu Künstler und von Party zu Party gereicht wird. Und die brave Martha wird zu Hause immer noch von ihrem Vater in einen Sack gesteckt und verprügelt. Die wahre Brutalität des jungen Lebens im Kleid floraler Ornamente. Vom Jugendstil sind wir inzwischen weit entfernt. Doch das Stück ist offensichtlich immer noch unglaublich präsent. Warum?
re>flex: Was ist das Spannende an „Frühlings Erwachen“?
Pommer: Es ist DAS Coming of Age-Stück der deutschen Dramatik. Coming of age, erwachsen werden, die ganzen Themen, die damit einhergehen, aufwachsen, sich positionieren, sich entscheiden: Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Das ist das Ganze, was „Frühlings Erwachen“ für mich beinhaltet hat. Deshalb habe ich mich damals entschlossen, dieses Projekt zu machen.
re>flex: Was ist das Tragische daran?
Pommer: Dass letztlich Leute sterben, ohne dass ein Grund dafür da ist. Sie werden ja eigentlich bestraft, ja für was? Für Unwissenheit. Das ist schon was sehr, sehr Tragisches. Und das war anfangs auch einer unserer Ausgangspunkte. Gerade Wendla: Sie wird bestraft, für was? Dafür, dass sie ein Mädchen ist, dafür, dass sie sich nicht sicher ist, dass sie ein bisschen verliebt ist, vielleicht. Und wer wird nicht bestraft: Melchior. Der kommt davon. Der hat ein wenig Selbstmitleid auf dem Friedhof und wird noch als Held stilisiert. Aber letztendlich ist er der Kerl. Er schwängert einfach ein Mädchen. Und was macht er dann: Er schreibt einen Brief, dass er für die Abtreibung aufkommt. Letztendlich ist das ein ziemliches Brett. Und das war unser Ausgangspunkt: Dass Wendla die Heldin ist. Sie opfert sich schließlich auch für ihn. Melchior wird schon sehr sehr negativ dargestellt. Grundsätzlich mal: Wir sind weit weg von Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Es heißt schließlich auch: „Nach dem Frühlingserwachen“. Von Anfang an war die Konzeption so, dass die Erwachsenen nicht aufgegriffen werden. Ich halte nichts davon, wenn 26-jährige die Eltern von 24-jährigen spielen sollen, das sieht einfach doof aus. Zweitens finde ich das wirklich einen schwierigen Punkt bei „Frühlings Erwachen“, dass die Jugendlichen überhaupt nicht aufgeklärt werden, denn dann müsste man es historisch spezifisch in diese Zeit versetzen und das ist immer problematisch für Theater. Heute wird man in der Schule aufgeklärt. Jetzt sind wir dann aber in der Bearbeitung soweit, dass wir vom Originalstoff weg sind. Wir haben ihn noch drin in unserem Theaterstück, durch Analogien, an bestimmten Stellen spielen wir Szenen oder Dialoge aus dem Original „Frühlings Erwachen“, um zu sehen: So, das war der Hintergrund, daraus ist DAS entstanden. Und der Ansatzpunkt unseres Stückes ist die Heubodenszene, die Sexszene. Das ist der Anfangspunkt, damit geht alles los und das ist ja eigentlich auch der Punkt, der den Stein ins Rollen bringt. Ab da spinnt sich dann der Faden neu weiter.
re>flex: Kannst du kurz euer Konzept umreißen?
Pommer: Unser Konzept setzt an der Heubodenszene an, in der Klara (Wendla) von Jonathan (Melchior) vergewaltigt wird. Es folgen drei Akte. Im ersten schauen wir nur auf Klara: Wie geht es ihr nach der Vergewaltigung? Sie versucht herauszufinden, wer das eigentlich war. Sie überlegt, ob sie zur Polizei gehen soll oder nicht. Akt 1 schildert, wie sie versucht, mit dieser schlimmen Tat umzugehen. Am Ende des ersten Aktes erkennt sie dann den Täter, er tritt nochmal in ihr Leben. In Akt 2 fokussieren wir auf Jonathan. Er wird selbst Opfer, und zwar von Klara, denn sie hat beschlossen, sich an ihm zu rächen. Sie tut das auch auf sehr körperliche Art und Weise, wir arbeiten da sehr viel mit Bildern. Und sie sagt: Du hast mein Leben zerstört, jetzt zerstöre ich dein Leben. Am Ende, im dritten Akt, gewinnt Jonathan wieder die Oberhand und das zerstört Klara, das macht sie fertig, das bringt sie zum Ausrasten. Sie ist im doppelten Sinn Opfer geworden, steht machtlos da, während er sich aus der Affäre gezogen hat. Das steuert dann auf die große Katastrophe am Ende zu.
re>flex: Hat das Stück sehr viel mit uns, vor allem uns jungen Menschen zu tun, die wir noch nicht weit von der Pubertät entfernt sind? „Frühlings Erwachen“ steht überall in den Spielplänen. Warum sollte man das Stück deiner Meinung nach auf die Bühne bringen?
Pommer: Das ist schwierig zu erklären, weil es die Diskrepanz gibt zwischen: Warum habe ich das Projekt damals begonnen und wo befinden wir uns denn heute?
re>flex: Wann hast du es denn begonnen?
Pommer: Im Oktober. Und es ist wirklich weit weg. Wir sind gewandert. Ich bin in der Art, Regie zu führen, sehr sehr frei. Die Schauspieler entscheiden einen Großteil mit. Entscheiden, was gespielt wird. Das ist etwas, dass ich eben so gelernt habe von „Darstellendes Spiel“ und dass ich jetzt in meinem ersten Stück nach „Darstellendes Spiel“ auch unbedingt ausprobieren und anwenden wollte. Ich finde das eine tolle Art, Theater zu machen. Hat aber eben das Resultat, dass man mit den Ideen, mit denen man als Regisseur hinein geht, nicht unbedingt wieder heraus kommt. Ich bin trotzdem noch zu 100% hinter dem Stück. Vor allem hinter dem Stück, das wir jetzt haben. Ausgangspunkt war mit Sicherheit: Was ist eigentlich Jugend? Wir sind auch noch Jugendliche in einer gewissen Art und Weise. Es war auch die Idee, diese Jugend zu zelebrieren, dieses Erwachsen werden: Das zu zeigen und positiv darzustellen, das war die Ausgangsidee.
Unter dem Konzept von Andreas Pommer hat der alte Schinken von Frank Wedekind sicherlich nicht gelitten. Im Gegenteil. Offensichtlich soll er sogar mit Masken gearbeitet haben. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis!. „Nach dem Frühlingserwachen“ wird am 24., 26. und 27. April im Frankenhof aufgeführt. Viel Spaß!
Paula Linke
http://www.reflexmagazin.de/2012/04/16/nach-dem-fruhlingserwachen/