Und Plötzlich ist Faust schön
Die Schauspieler der Studiobühne Erlangen haben sich unter der Regie von Marie-Christin Schwab an eine neue Perspektive des Fauststoffs gewagt, die in mehreren Stücken Shakespeares schon gang und gäbe ist, einem Text aus Goethe’s Feder bisher allerdings fremd war: Faust ist eine Frau. Was ursprünglich als Notlösung gedacht war, entwickelte sich zum Erfolg der Inszenierung. Ein herzerfrischend gelungenes Experiment.
Ich wusste schon immer, dass mir dieser olle, jammernde Knacker als Mann zuwider ist. Zu schnell ist er ein alberner Gockel, der mit ca. 70 nochmal den jungen Mädchen nachstelllen muss. Ekelhaft. Nicht einmal als naives Gretchen hätte ich solch einen Mann gewollt. Nun hat sich meine Annahme bestätigt: Mit einer Frau in der Rolle des Faust macht sich das Ganze viel besser. 200 Jahre nachdem Goethe den Fauststoff neu für sich entdeckte, müssen wir auch überlegen, was von den Idealen von damals noch den unseren entspricht. Solche Männer, wie Goethe’s Faustfigur gibt es immer noch, keine Frage, diese Frau ist mir allerdings sehr viel lieber, es ist mir weniger unangenehm, wenn sie das Gretchen verführt, Frauen können auf der Bühne leichter zärtlich sein ohne automatisch schmalzig zu wirken.
Doktor Henrike Faust — überzeugend gespielt von Kristin Vogel — ist in Schwabs Inszenierung eine immer noch attraktive, aber ausgelaugte und verbitterte Börsenmaklerin, die sich von ihrem Erfolg nichts kaufen kann. Ihr fehlt die Leidenschaft, das glühende Feuer der Jugend und der Liebe, Freude und Unbedarftheit sind ihr beim Erklimmen der Karrieretreppe verloren gegangen. So sehr wünscht sie sich eine Veränderung, so einsam ist sie mit ihrer Weinflasche und ihrem Laptop, dass sie, als ihr ein Pudel zuläuft, ihn sofort mit nach Hause nimmt. Und als sich daraus der lässige Mephisto (David Becker) entpuppt, ihr vom Tonband ihre eigenen Hilferufe abspielt und ihr anbietet, ihr auf Erden alle Wünsche zu erfülllen, sofern sie nachher in seiner Welt dassselbe für ihn tut, geht sie bereitwillig darauf ein. Ohne mit der Wimper zu zucken unterschreibt sie mit ihrem Blut. Was sie nicht weiß: Dass Mephisto mit dem Herrn eine Wette laufen hat, denn Gott — ebenfalls gespielt von einer Frau, Irmgard Oeser — ist auch gelangweilt und kann das ewige Halleluja der Engel schon lang nicht mehr hören.
Zwar lässt sich Henrike weder von den saufenden und singenden Burschen im Auerbachskeller beeindrucken, noch ist sie von den Hexen begeistert, die sie verjüngen sollen, als sie jedoch Margarete begegnet, einem gottesfürchtigen, braven Mädchen aus dem Volk, ist sie hin und weg und schmachtet ab diesem Moment nach dem herzensguten Wesen. Gretchen, fabelhaft gespielt von Lea Beifuß, bleibt nicht so unschuldig, wie sie sich anfangs gibt. Sehr schnell lässt sie sich von Henrike und ihrer Leidenschaft anstecken, das junge Ding vergeht an Lust, es drängt sie nach verbotenen Erfahrungen und an diesen Erfahrungen wächst sie. Als Vision taucht sie schließlich blutüberströmt bei der Walpurgisnacht auf und blutüberströmt ertränkt sie im Kerker ihr Kind, immer und immer wieder. Man könnte meinen, dass dieses Kind aus Goethe’s Faust in einer Dramaturgie, in der es nur eine lesbische Liebesbeziehung gibt, zum Problem wird. Es wird aber zu keinem, denn statt eines echten Kindes handelt es sich hier nur um eine Illusion, die sich allein in Gretchens Kopf abspielt und die ein überzeugendes Bild davon schafft, wie sehr das Mädchen mit seinen Nerven am Ende ist. Faust bettelt und fleht, aber Gretchen hat Henrikes schattenhaften Begleiter schon längst durchschaut und entscheidet sich lieber für den Tod als für ein sündenhaftes Leben an der Seite eines Teufels.
David Becker, in der Rolle des Mephisto ist einer der besten Schauspieler der Studiobühne. Schon sein Vladimir in „Warten auf Godot“ überzeugte auf eine bestechend ruhige und überlegte Art und Weise. Sein Teufel, in dunklem Anzug, ist ein Geist, der stets alles unter Kontrolle und die Selbstzufriedenheit gepachtet hat. Eine Frau an der Hand zu nehmen und durch Leben zu führen ist aber auch wesentlich leichter als einen verklemmten Mann. Plötzlich wird der Mephisto zu einem lieben Onkel, dessen dunkle Züge nur durch die Augen des Gretchens sichtbar werden.
So weit, so gut, diese drei kennen wir. Die Inszenierung beschäftigt sich aber ebenso intensiv mit all den anderen Figuren im Faust, so dass jede von ihnen unglaublich lebendig gezeichnet werden konnte. Da fällt nichts unter den Tisch, da entstehen wundervolle Bilder: wirkliche Burschen in Coleur beim alltäglichen Saufgelage, Kaugummi kauende, gelangweilte Friseuse-Hexen (Julia März, Nadine Raddatz), die in Modemagazinen blättern bis die Oberhexe (Katharina Schliedermann)- in einem grandiosen Latexkostüm und mit 80er-Jahre-Frisur — vom Shoppen zurück kommt; eine herrlich komische Marthe in Tigerkleid (Kristin Werner); ein glaubwürdig verdrossener, mit ziemlich viel Erdbeersoße auf der Brust sterbender Valentin (Timo Sestu) und ein anzüglicher Wagner (Maximilian Nix), der noch nicht damit umgehen kann, dass so schöne Frauen wie Henrike Faust einen Doktortitel haben und in den Chefetagen sitzen; eine 90er-Jahre-Walpurgisparty mit Atzenbrillen und ein Vorspiel aus Direktor, Dichter und einer lustigen Person — die Rollen übernommen von Matthias Nadler, Sibylle Steinhauer und der Regisseurin selbst — der wundervoll mit der tatsächlichen Anwesenheit der Zuschauer spielt und der zeigte, wie modern dieser Text nach 200 Jahren noch immer ist.
Ich könnte vermutlich immer so weiterschreiben, neben Godot war dies eine der besten Inszenierungen der Studiobühne Erlangen. Gegen die Lichtbedingungen im Frankenhof kann man wenig machen, das weiß ich inzwischen, aber gerade deswegen sollte man mit Übergängen im black sparsamer umgehen. Obwohl der Originaltext schon erfrischend gekürzt wurde, hätte man in dieser Hinsicht fast noch radikaler sein können, und dass das Gretchen von Henrike Faust mit ihren 16 Jahren noch „mein Kind“ genannt wird, hätte auffallen müssen, aber ansonsten war das eine kurzweilige, spannende Inszenierung in einer angenehmen und glaubwürdigen Besetzung. Ich freue mich auf die nächste Regiearbeit Marie-Christin Schwabs.
Wer in dieser Spielzeit noch ein Stück von der Studiobühne sehen will, der spute sich, Sie haben am nächsten Wochenende noch einmal die Gelegenheit dazu: Am Samstag, den 21., am 22. und 23. Juli wird im Frankenhof jeweils 19.00 Uhr die Musicalrevue „Bloody Show Of Horrors“ aufgeführt.
Paula Linke
http://www.reflexmagazin.de/2012/07/17/und-plotzlich-ist-faust-schon/