Sarah Kane mal Zwei

SB-QuadratAn einem die­ser schö­nen Tage Anfang Juni treffe ich die zwei Regie-Teams des „Kathar­sis. Dou­ble­fea­ture“ von der Stu­dio­bühne Erlan­gen in der You­gurt­bar. An einem Abend soll sowohl „4:48“ als auch „Gesäu­bert“ von Sarah Kane auf die Bühne gebracht wer­den. Wäh­rend die einen – Maxi­mi­lian Nix und Lydia Vic­tor – an ihrem Teil des Abends bereits seit einem drei­vier­tel Jahr arbei­ten, wol­len die ande­ren bei­den – Andreas Pom­mer und Mat­thias Bron­nen­meyer – ihr „4:48“ in einer inten­si­ven Pro­ben­phase von zwei Wochen in einem gro­ßen Expe­ri­ment ent­ste­hen las­sen. Wäh­rend wir Eis löf­feln, erzäh­len mir die 4 von ihrer Fas­zi­na­tion für Sarah Kane und ihre Texte, von ihrer Idee eines eigen­ar­ti­gen Kon­zepts, von der Erfah­rung, zu zweit Pro­jekt­lei­ter für eine Insze­nie­rung zu sein und von einem ganz bestimm­ten Modell der Thea­ter­ar­beit – ohne Hier­ar­chie. Dabei haben sie eine Menge Spaß! Und es wird deut­lich, dass der „Kathar­sis. Dou­ble­fea­ture“ — Abend ein span­nen­der Abend vol­ler Fra­gen wer­den wird. Fra­gen, die nicht nur Wahn­sin­nige betreffen.

Reflex: Sarah Kane, was fas­zi­niert euch an die­ser Frau, was fas­zi­niert euch an den Stü­cken, was inter­es­siert euch an den The­men, die diese bei­den Stü­cke behandeln?

Maxi­mi­lian: Ganz Vie­les. Ich per­sön­lich bin ganz zufäl­lig zu Sarah Kane gekom­men. Eine Frau, die ja ein wahn­sin­ni­ges Leben – im wört­lichs­tes Sinne – geführt hat, die lei­der häu­fig miss­ver­stan­den wurde. Das ist eine der Sachen, die ich an ihren Stü­cke so genial finde, weil sie auf einer ober­fläch­li­chen Seite viel­leicht so aus­se­hen, als ob sie ein­fach nur scho­cken wol­len, als ob sie geschrie­ben wur­den, damit das Publi­kum sich zum Schluss denkt: „Eh, kann man so was machen?“ Ich glaube nicht, dass das der Kern der Stü­cke ist, son­dern ganz im Gegen­teil: Das Inter­es­sante ist eigent­lich, dass etwas auf einer Text­ebene zu sehen ist, das aber nicht den Kern bestimmt. Man sieht ganz häu­fig Gewalt, Exzesse, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, um die es im Kern aber eigent­lich nicht geht, son­dern um etwas tie­fer Gehen­des. Dass bei­spiels­weise Gewalt eine starke Rolle spielt, aber es eigent­lich um Liebe geht. In ihren Stü­cken geht es letzt­end­lich immer auch um Liebe. Da ist „4:48“ eher noch eine Aus­nahme, sag ich jetzt mal.

Andi: Sarah Kane ist natür­lich in Eng­land hin­ein gebo­ren in diese Gene­ra­tion von „In your face“. Und sie wird heute häu­fig immer noch miss­ver­stan­den: Als „In your face“, was sie halt letzt­end­lich nicht ist. Ihr Sachen hören sich hart an, aber da steckt mehr dahin­ter. Die Stü­cke sind Stü­cke, die es zu Lesen gibt und die kom­plett anders sind, wenn man sie auf die Bühne bringt. Es wird nicht sel­ten einen rie­si­gen Unter­schied geben zwi­schen dem Stück, das man gele­sen hat und dem Stück, das man sieht. Und das ist auch von ihr so gewollt: Dass man daran arbei­tet und dass man die Regie­an­wei­sun­gen anders umsetzt, als sie da ste­hen. Dass man inter­pre­tiert und Lösun­gen fin­det. Sarah Kane ist DIE Auto­rin des Post­mo­der­nen Theaters.

Lydia: Solch einen Text kann man ein­fach nie­mals gleich auf die Bühne brin­gen. Das wür­den wahr­schein­lich fünf Thea­ter kom­plett anders insze­nie­ren, weil es ein­fach, so wie es da steht, auch nicht insze­nier­bar ist. Und weil man eben wirk­lich immer für sich inter­pre­tie­ren muss, was da jetzt dahin­ter steckt. Genau das ist auch das Span­nende bei „Gesäu­bert“: Diese per­ma­nente Gewalt, die aber eigent­lich nur ver­sucht, die Liebe zu beschrei­ben, oder die die Frage nach den Maß­stä­ben stellt, in die man das über­haupt irgend­wie zwän­gen kann.

Das Kon­zept des Experiments

Reflex: Und ihr habt euch für einen ganz bestimm­ten Auf­bau des Abends ent­schie­den. Wie kam das? Steht dahin­ter ein bestimm­tes Konzept?

(die vier lachen laut)

Andi: Wol­len wir diese Frage wirk­lich beantworten?

Maxi­mi­lian: Nein.

Andi: Sol­len wir sie die Schau­spie­ler beant­wor­ten lassen?

Maxi­mi­lian: Wol­len wir schnell noch eine Ant­wort erfin­den oder wol­len wir die Wahr­heit sagen?

Andi: Na gut: „4:48“ ist ja nur 20 Minu­ten lang. Und „4:48“ wird ein gro­ßes Expe­ri­ment, ein gro­ßes Sich-Ausprobieren und wir schauen ein­fach mal, wie weit wir kom­men. Es ist noch nicht alles klar.

Lydia: „4:48“ ist als Pro­log für „Gesäubert“angedacht gewe­sen. Die Sache ist, dass bei „4:48“ eben noch so viel in der Schwebe steht. Das war von Anfang an geplant.

Andi: Wir machen das Ding in zwei Wochen. Und die ganze Inten­si­tät der Pro­ben spie­gelt sich dann hof­fent­lich in der Inten­si­tät des Stü­ckes wider. Das wer­den kurze und sehr, sehr auf­rei­bende zwei Wochen Pro­ben. Und ich hoffe, dass dar­aus auch auf­rei­bende 20 Minu­ten ent­ste­hen. Wo wir aber sein wer­den, wenn diese zwei Wochen vor­bei sind, das wis­sen wir noch nicht. Das wird sich zei­gen. Letzt­end­lich soll am Ende unse­rer Insze­nie­rung auf jeden Fall der Moment ste­hen, an dem man über­legt: „Okay, 4:48, der Moment, an dem man inne­hal­ten und sich ent­schei­den muss: Wo steht man gerade in sei­nem Leben? Was macht man damit? Was mach ich mit mei­nem Wahn­sinn, was mach ich mit mei­ner Depres­sion? Wo bin ich? Will ich wei­ter­ma­chen, will ich nicht wei­ter­ma­chen?“ Und letzt­end­lich kann man das natür­lich gerne als Cliff­han­ger zu „Gesäu­bert“ sehen, wo man fest­stellt: „Wenn ich wei­ter machen will, dann brau­che die Liebe dazu,“ und sich fragt: „Wo krieg ich die Liebe her?“ Die­ser Über­gang wär ein mög­li­cher Gedanke. Aber letzt­end­lich ist ein glat­ter Über­gang jetzt nicht das, was ange­dacht ist.

Die Grund­fra­gen sind sol­che, die sich jeder Mensch  stellt

Lydia/Maximilian: Ich wollt dazu noch sagen:

Maxi­mi­lian: Warum spre­chen wir immer gleichzeitig?

Lydia: Weil wir gleich­zei­tig denken…?

Maxi­mi­lian: Ich glaube, was die Stü­cke von Sarah Kane auch ganz viel aus­macht, wes­halb es auch gut mög­lich ist, an einem Abend meh­rere Stü­cke zu insze­nie­ren, ist, dass die Grund­fra­gen wel­che sind, die sich jeder Mensch sel­ber stellt. Ganz sicher nicht – oder hof­fent­lich nicht — in die­ser Inten­si­tät, wie Sarah Kane das tut. Aber Fra­gen wie: „Was mach ich mit mei­nem Leben? Was beschäf­tigt mich? Was macht mich aus? Wie kann ich wei­ter­ma­chen, wenn ich an einer Kri­sen­si­tua­tion viel­leicht schei­tere? Was ist Liebe, was macht Liebe aus? Wie kann ich das über­prü­fen? Liebe ich oder mach ich mir etwas vor?“ Das sind, denk ich, alles Fra­gen, die durch­aus im Men­schen bro­deln, wenn sie auch gleich nicht immer so gestellt wer­den. Und das macht die Stü­cke auch durch­aus auf einer rein mensch­lich emo­tio­na­len Ebene verknüpfbar.

Lydia: Es sind eben auch letzt­lich diese Iden­ti­täts­fra­gen und ich würde sagen, dass „4:48“ genau an die­ser Frage hängt: „Wer bin ich und wo geht das noch hin?“. Bei „Gesäu­bert“ ste­hen die Cha­rak­tere aber schon vor der nächs­ten Frage, denn sie wis­sen, wo sie hin wol­len. Genau dar­über haben sie viel­leicht ein biss­chen ver­ges­sen, wer sie sind. Für mich ist span­nende, dass das Ziel da ist, aber dar­über total ver­ges­sen wird, wer sie eigent­lich sind oder man sich bei man­chen Cha­rak­te­ren auch fra­gen kann: „Sind das noch Men­schen?“ Diese gan­zen Fra­gen der bei­den Stü­cke grei­fen inein­an­der über.

Pau­sen­lo­ses Feed­back, back-up und Ideen mal zwei

Re>flex: Wir haben es ja eben gemerkt: Es sind jeweils zwei Regis­seure. Wel­che Pro­bleme, wel­che Mög­lich­kei­ten eröff­nen sich dadurch, wenn man zu zweit an einem Pro­jekt arbeitet?

Maxi­mi­lian: Man möchte immer gleich­zei­tig sprechen.

Lydia (lacht): Aber es gibt keine Probleme.

Maxi­mi­lian: Nee, tat­säch­lich nicht. Das ist erstaun­lich witzig.

Lydia: Ja, funk­tio­niert wun­der­bar. Mög­lich­kei­ten gibt es natür­lich viele. Zum Bei­spiel sie, noch mal andere Sicht­wei­sen zu sehen und zu einer eige­nen for­mu­lie­ren Aus­sage einen zwei­ten Blick zu bekommen.

Mat­thias: Wir haben ja schon in „Nach dem Früh­lings­er­wa­chen“ zusam­men gear­bei­tet, Andi und ich. Und der Haupt­vor­teil ist, dass man pau­sen­lo­ses Feed­back hat, dass man nichts schon mal in sei­nem Kopf bereit legen kann, son­dern alles wird direkt getes­tet. Viele Ideen fal­len dann von vorn­her­ein schon mal durch. Man merkt in dem Moment, in dem man es aus­spricht gleich: „Ok, das war jetzt nicht so helle.“ Aber dadurch hat man auch eine radi­kale erste Aus­sie­bung, so eine Art erste Qua­li­täts­kon­trolle. Natür­lich sind die Ideen, die man hat, mal zwei. Man hat seine eige­nen Ideen und seine eigene Vor­stel­lung davon, wie es wei­ter­ge­hen soll und die des Ande­ren. Auf diese Weise hat man viel mehr Potential.

Maxi­mi­lian: Man pusht sich auch irgend­wie gegen­sei­tig hoch. Lydia und ich hat­ten es ganz oft, dass eine Idee im Raum stand und diese ein­fach vom Ande­ren noch­mal wei­ter gespon­nen wurde und sich plötz­lich ganz neue Dimen­sio­nen eröff­ne­ten, die man so, in sei­ner eige­nen Idee viel­leicht gar nicht gese­hen hat. Das macht es extrem span­nend — einen Pro­zess lang­wie­ri­ger, das ist ganz klar — , letzt­end­lich sehr viel frucht­ba­rer als es für einen alleine wäre.

Lydia: Man muss eben keine Ent­schei­dun­gen alleine tref­fen. Man kann sich gegen­sei­tig moti­vie­ren und man hat immer so ein back-up. Wenn ich mir sel­ber mit irgend­was nicht ganz sicher bin, gibt es jemand Zwei­ten hin­ter mir, der auch der Mei­nung ist und der das genauso mit ver­tre­ten kann.

Grup­pen­dy­na­mik statt „Mach mal so und mach mal anders.“

Reflex: Das hätte man ja auch mit einem Regie­as­sis­ten­ten, oder nicht?

Lydia: Das ist nicht das Gleiche.

Andi: Ich sträube mich von Anfang an gegen den Begriff „Regieassistenz“.

Maxi­mi­lian: Ich wollt’s gerade sagen. Ent­we­der gibt es jeman­den, der führt mit Regie. Das ist dann aber keine Regie­as­sis­tenz, denn eine Mit­re­gie muss auf glei­cher Ebene mit­ar­bei­ten kön­nen, sonst gibt’s eine Hier­ar­chie und einer boxt da durch, was er will. Und Regie­as­sis­tenz…, ich weiß nicht, in mei­nem Sprach­ge­brauch hat das irgend­wie was nega­tiv Behaf­te­tes. Die Regie­as­sis­tenz ist halt der Hiwi, der die Drecks­ar­beit macht, der auf­schreibt, was der andere vorn erzählt. Das passt auch irgend­wie gar nicht zum Kon­zept, das wir und ihr (er deu­tet auf das andere Team) ja auch letzt­end­lich fah­ren. Unser Kon­zept zielt nicht dar­auf, dass sich vorn ein Regis­seur hin­stellt, und sagt: Mach mal so und mach mal anders. Son­dern das ist ja ein rie­si­ger Gesamt­pro­zess, in wel­chem nicht nur die Regie, son­dern auch die Schau­spie­ler wahn­sin­nig viel mit ent­schei­den dür­fen und wol­len. Was das Pro­jekt natür­lich auch zu einem macht, hin­ter dem alle ste­hen. Was die Arbeit auch sehr viel ange­neh­mer macht, als wenn es einen gibt, der sich vorn hin­stellt und elf, die dahin­ter ste­hen und sich den­ken: „Hm, ja, ok. Hat er mal wie­der heute mor­gen, als er über die Schwelle kam, sich was ausgedacht.“

Lydia: Es geht ins­ge­samt auch viel um Grup­pen­dy­na­mik und um ein Team und zwar zusam­men mit den Schau­spie­lern. Da ist es natür­lich sehr hilf­reich, wenn die Regis­seure an sich schon ein Team darstellen.

Andi: Und des­we­gen sind wir auch – und da stimmt ihr mir sicher auch zu – auch eigent­lich keine Regis­seure (die drei stim­men ihm wild durch­ein­an­der zu). Das sagen wir nur immer noch so, weil es so ein­fach ist, „Regie“ zu sagen. Aber letzt­end­lich wird im Pro­gramm­heft nicht Regie drin ste­hen, weil wir nicht Regie füh­ren. Son­dern wir sind die Lei­ter eines Pro­jek­tes und des­we­gen braucht es auch sol­che Abgren­zun­gen von Regie und Regie­as­sis­tenz nicht. Jeder macht halt das, was er kann.

Inten­si­tät auf zwei Wegen

Reflex: Kom­men wir noch ein­mal zurück: Ihr probt ja schon ganz lang, ihr ande­ren habt vor, das Ganze in zwei Wochen zu stem­men. Ihr seid ja jetzt schon da. Es hat also auch einen ganz bestimm­ten Grund, wes­halb ihr erst zwei Wochen vor der Pre­miere erst anfangt.

Andi: Also, der ganz bestimmte Grund ist natür­lich, dass die­ses Stück ein sehr klei­nes und sehr eng gepack­tes Stück wer­den soll. Und die­ses Enge und Gedrängte soll sich im Pro­ben­pro­zess genauso wider­spie­geln wie letzt­end­lich auf der Bühne. Wenn ich ein Thea­ter­stück mach, dann sind der Pro­ben­pro­zess und die Insze­nie­rung gleich wich­tig. Wenn mir meine Schau­spie­ler danach an die Decke sprin­gen, weil das so Kacke war, dann bringt das beste Stück über­haupt nichts. Das heißt, bei­des muss Hand in Hand gehen. Und bei einem kur­zen, engen, gedräng­ten Stück soll das Team die­selbe Erfah­rung im Pro­ben­pro­zess haben. Und erst durch den eng gedräng­ten Pro­ben­pro­zess, wird es viel­leicht mög­lich, diese Stim­mung mit rüber in das Stück nehmen.

Re>flex: Und fühlt sich die andere Gruppe von „Gesäu­bert“ wohl mit der lan­gen Probenphase?

Lydia: Auf jeden Fall. Weil wir erst mal ganz viel grup­pen­dy­na­misch arbei­ten woll­ten, mit Schau­spiel­übun­gen, mit Bewe­gun­gen, ganz viel wirk­lich aus­pro­bie­ren woll­ten. Wir haben auch ganz bewusst rela­tiv spät erst mit der eigent­li­chen Stück­ar­beit begon­nen. Es ist zum Teil sehr schön, dass wir jetzt eben schon die­ses Team von 10 Leu­ten gewor­den sind, dadurch dass wir bereits ein drei­vier­tel Jahr ganz unter uns die glei­che Arbeit mit­ein­an­der teilen.

Paula Linke
http://www.reflexmagazin.de/2013/06/27/sarah-kane-mal-zwei/