Romeo liebt Julia — ich liebe Fußball!
In Kürze beginnt wieder einmal der größte Zirkus der Welt — nämlich die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) – und die Deutschen sind schon ganz aus dem Häuschen. Freilich gibt es da vieles, das man kritisch betrachten muss: Rassismus, Homophobie, Korruption. Aber der Fußball hat seine guten Seiten. Er erzählt die besten Geschichten der Welt: die erdrückende Anspannung beim Elfmeter, die allumfassende Verzweiflung beim Abstieg, die unbändige Freude beim Siegtor in der 90. Minute. Das alles ist Fußball.
Eine Reaktion auf Philip J. Dingeldeys Artikel „Faschistoider Fußball“ von Andreas Pommer.
Lieber Philip, Fußball ist faschistoid, Fußball ist sakraler Fetisch, Fußball ist Kitsch, Fußball ist Aufgabe der eigenen Identität in der Masse. Au weia. Freilich argumentierst du sehr sachlich und kritisch und mein Artikel ist nicht dazu da, deinen zu widerlegen. Ich möchte dir nur sagen: Fußball ist so viel mehr. Aus der Perspektive eines Fußballfans möchte ich dir einmal schildern, warum Fußball auch so toll sein kann.
Fußball schafft es, in mir Gefühle zu wecken, wie kaum ein anderes Medium. Mit seinen Höhen und Tiefen, dem Lieben und Leiden agiert es auf dieselbe Weise wie Musik, Film und Theater. Es erzählt eine Geschichte. Fußball kreiert Helden, mit denen wir uns identifizieren können. Es gibt nur einen Unterschied: Die Geschichte, die erzählt wird, ist auf eine besondere Art und Weise real, und wir alle können ein Teil davon sein, wenn wir wollen.
Als Fan der Deutschen Nationalmannschaft kenne ich ihre Geschichte in– und auswendig. 2006 starteten wir mit denkbar schlechten Vorzeichen in die Weltmeisterschaft auf eigenem Boden. Bei der vorangegangen EM waren wir blamabel in der Vorrunde ausgeschieden. Da half auch kein „Es gibt nur ein Rudi Völler“. In den Freundschaftsspielen unter dem neuen Motivator Klinsmann agierten wir mehr als peinlich. Der gefeierte Held von 2002, Oliver Kahn, wurde ausgebotet, zu schlecht seine Leistungen auf und neben dem Platz. Aber es war auch die Zeit der jungen Wilden. Drei pickelgesichtige Milchbubis, Poldi, Lahm und Schweini, gaben mir und dem ganzen Land wieder Hoffnung. Denn auf einmal spielten wir ganz anders: frisch, frei und nach vorne. Wir waren zwar immer noch schlecht, keine Frage. Aber der Truppe um Capitano Ballack war das egal: Immer drauf, immer nach vorne. Es machte einfach Spaß zuzuschauen. Ich erinnere mich, wie Lahm das erste Tor der WM schoss. Von der Strafraumgrenze ein Kracher gegen Costa Rica. Beim Jubeln hatte man das Gefühl, dass Lahms Trikot eigentlich 4 Nummern zu groß ausfiel. Aber egal: Wir erreichten das Halbfinale in einem Sommer, der wirklich ein einziges Märchen war. Doch nach dem Höhepunkt kommt das retardierende Moment. 0:2 gegen Italien in der Verlängerung. Poldi agierte glücklos und unser Drang nach vorne erstickte im italienischen Catenaccio. Aber wir waren noch jung. Unsere Geschichte hatte gerade erst begonnen.
Die Geschichte der WM in Südafrika startete schon einige Wochen vorher mit einem Knall. Leader und Capitano Ballack hatte sich verletzt. Die Ausgangslage war denkbar schlecht. Schweini und Poldi waren zwar 4 Jahre älter, wurden aber durch eine ganze Reihe neuer Milchbubis ersetzt: Neuer, Özil, Müller, Badstuber. Wie sollten wir mit dieser unerfahrenen Gruppe irgendetwas reißen? Doch dann kam das Eröffnungsspiel gegen Australien und auf einmal fangen wir das Zaubern an. Özil, ein kleiner Magier, schickt einen Zuckerpass nach dem anderen. In der Zwischenzeit schießt sich Müller, ein erfrischender Naturbursche mit Waden so dünn wie die Arme von Kleinkindern, mit einer erstaunlichen Leichtigkeit zur Torjägerkanone. Aber Fußball wäre kein guter Geschichtenerzähler, wenn wir in diesem Sommer den Titel geholt hätten. Zu leicht, zu einfach war unser Weg vorbei an den einstigen Größen von Argentinien und England. Im Halbfinale gegen Spanien war Schluss. Fallhöhe nennt man das. Ein weiterer Traum platzte im Halbfinale und ich ging schweigend durch leere Straßen nach Hause. Es ist die Stille, die nach einer Niederlage einkehrt, die besonders beängstigend ist.
Nun stehen wir unmittelbar vor dem Beginn der WM 2014, und weil Fußball eben die besten Geschichten erzählt, gibt es nur einen möglichen Ausgang für dieses Turnier: Wir werden Weltmeister! Wir starten in die erste Partie mit vielen angeschlagen Spielern. Neuer kann seinen Arm nicht bewegen, Lahm und Schweini sind nicht fit, Poldi weit von seiner früheren Klasse entfernt. Von Beginn an, da bin ich mir sicher, wird es ein schwerer Weg. Wir verlieren gegen Portugal, an CR7s Selbstbewusstsein kommen wir nicht vorbei. Die Presse wird sich überschlagen und uns ein frühes Aus prognostizieren. Löw wird öffentlich kritisiert: „Warum zum Teufel nimmt der auch nur einen einzigen Stürmer mit?“
Aber wir kommen mit Mühe und Not weiter, weil wir gegen Klinsmann gewinnen, den Mann, mit dem unsere Geschichte begonnen hat. Wir schleppen uns ins Halbfinale, gegen Italien. Und da stehen sie nun, unsere Spieler, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Lahm und Schweinsteiger haben schon viel zusammen durchgestanden, aber nun sind sie erstmals auch auf dem Platz vereint und dirigieren im Mittelfeld auf der Doppelsechs. Podolski ist erwachsen geworden und schießt uns mit seinem linken Hammer weiter. Müller bleibt wie er ist und schickt einen kernigen Spruch hinterher. Bisschen Spaß muss ja sein. Das erste Mal in der Geschichte schlagen wir Italien in einer WM. Das Finale gegen Brasilien wird ein Selbstläufer. Unser Spieler, die schon so viele Niederlagen und Rückschläge erdulden mussten, raufen sich zusammen und bringen uns den WM-Titel. Es kann nur dieses Ende geben. Seit 2006 arbeitet alles darauf hin.
Das hoffe ich zumindest. Schließlich ist Fußball der beste Drehbuchautor der Welt. Doch vielleicht weiß er auch dieses Jahr wieder zu überraschen und findet ein Ende, mit dem niemand gerechnet hätte.
Fußball und seine Geschichten, so behaupte ich, gehören deshalb auf die große Bühne: Deshalb präsentiert die Studiobühne Erlangen zur WM die Musikrevue „Das ist Fußball“. In einer Mischung aus Gesang und Showeinlagen widmet sich die Studiobühne einen Abend lang den Fußballfans und ihren Gefühlen. Wir verfolgen die Geschichte von zahlreichen Fans, vom Intellektuellen bis zum Ultra, während sie sich auf das große WM-Finale vorbereiten.
Andreas Pommer ist Regisseur der Studiobühne Erlangen und feiert mit seiner Revue „Das ist Fußball“ am 19.06. Premiere im Frankenhof Erlangen. Weitere Aufführungen am 23. und 25.06, jeweils um 20 Uhr. Karten gibt es hier.
http://www.reflexmagazin.de/2014/06/10/romeo-liebt-julia-ich-liebe-fussball/