Rückert!

RückertDer Geist der Zeit, per­so­ni­fi­ziert als Ent­de­cker, erblickt, von einem gur­ren­den Stor­chen beglei­tet, ein rie­si­ges schild­krö­ten­ar­ti­ges Geschöpf. Die­ses Geschöpf ent­puppt sich als schla­fen­des Weibs­bild, das, als es erwacht, von einem Traum berich­tet, in dem es zur Strafe für Unzucht in die Insel „Cor­sica“ ver­wan­delt wurde. Dem Ent­de­cker schwant Böses und – die Schau­spie­ler fal­len aus ihrer Rolle, weil sie das, was sie da spie­len, ein­fach nicht ernst neh­men kön­nen. Ver­ständ­lich, ganz so über­zeu­gend ist die­ses Drama von Fried­rich Rück­ert nicht.

Doku­men­ta­ri­sche Stü­cke über Dich­ter­per­sön­lich­kei­ten müs­sen nicht mit deren Idea­li­sie­rung ein­her­ge­hen, das beweist die Stu­dio­bühne Erlan­gen mitRück­ert!. Auch wenn die Auf­füh­rung gemein­sam mit dem Rückert-Kreis als Benefiz-Veranstaltung zur Sanie­rung des Egloffstein´schen Palais ver­an­stal­tet wird, in dem Rück­ert acht Jahre lang wohnte, zeich­net sie kein ein­sei­tig posi­ti­ves Bild. Gleich­zei­tig erschöpft sich die Insze­nie­rung nicht in ein­sei­ti­ger Kri­tik an Bana­li­täts­dich­tung. Viel­mehr geht es um eine umfas­sende Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Dich­ter, Gelehr­ten und der Per­son. So gelangt die Truppe unter der Lei­tung von Ulrike Epple und Timo Sestu über­zeu­gend über „Rück­ert — ?“ zu einem kom­ple­xen, kei­nes­falls wider­spruchs­freien „Rückert — !“.

Aus sie­ben Blö­cken setzt sich die Auf­füh­rung zusam­men, die unter­schied­li­che Berei­che aus Rück­erts Schaf­fen und Leben behan­deln, bei­spiels­weise die zeit­ge­nös­si­sche Rezep­tion, aber auch die Bezie­hung zu sei­ner Frau Luise the­ma­ti­sie­ren. Drei Schau­spie­ler (Anna Bein­vogl, Nicole Grom, Julia Land­graf) sind durch­gän­gig auf der Bühne, spie­len Rück­erts Zeit­ge­nos­sen oder seine Dra­men­fi­gu­ren. Vor allem aber spie­len sie Rezi­pi­en­ten, neh­men den Zuschauer mit auf ihre Recher­cher­eise und set­zen sich mit Brie­fen und Gedich­ten aus­ein­an­der. Dabei för­dern sie Viel­fäl­ti­ges zutage: Wie er sei­ner Frau Luise drohte, sie mit sei­nem kit­zeln­den Bart zu quä­len, dass er sich als Pro­fes­sor nicht sehr gerne mit der Stu­den­ten­schaft, dem „rohen Volk“ beschäf­tigte, und dass sein Äuße­res nicht beson­ders ansehn­lich war.

Bana­li­täts­bingo und Sanskrit

Deut­lich zeich­net sich dabei vor allem eines ab: Rück­ert konnte weder den­ken ohne zu dich­ten, noch leben ohne zu dich­ten. Des­we­gen die Fülle, des­we­gen die nicht zu ver­leug­nende Bana­li­tät in Inhalt und Form eini­ger Gedichte. Sie wird im „Bana­li­täts­bingo“ sati­risch auf­ge­grif­fen und gleich­zei­tig nach­emp­find­bar gemacht. So fin­det sich das Publi­kum im sechs­ten Block als Publi­kum einer Rückert-Show wie­der, in der die Mode­ra­to­rin dazu auf­for­dert, feh­lende Reim­wör­ter ein­zu­set­zen, was für nie­man­den eine große Schwie­rig­keit darstellt.

Aber Bana­li­tät und Gelehr­ten­tum kön­nen dicht neben­ein­an­der ste­hen und schlie­ßen sich kei­nes­falls aus, das wird im sieb­ten Block in einer beson­ders ori­gi­nel­len Szene ver­deut­licht. Hier wird Rhada, die Geliebte Krish­nas, deren Geschich­ten im Git­ago­vinda des Jaya­deva erzählt wer­den, leben­dig. Der Text wurde von Rück­ert, der 44 Spra­chen sprach, über­setzt, und so bedankt sich Rhada, nun in Fran­ken sein zu kön­nen, und spricht ein wenig Sanskrit.

Zwi­schen den Blö­cken wer­den Briefe von Rück­ert ein­ge­spielt, die unter ande­rem eine trau­rige Seite sei­nes Pri­vat­le­bens beleuch­ten: Den Tod zweier sei­ner sechs Kin­der, unter des­sen Ein­druck die Kin­der­tod­ten­lie­der ent­stan­den, die eben­falls zu hören sind.

Rück­ert vertont

Einen wei­te­ren Höhe­punkt in der viel­sei­ti­gen, ver­schie­denste künst­le­ri­sche For­men ver­ei­nen­den und ide­en­rei­chen Rückert-Dokumentation stellt der Über­gang zwi­schen den letz­ten bei­den Blö­cken dar, als Sän­ge­rin Marina Sko­w­ro­nek und Pia­nist Chris­toph Orendi mit Rückert-Vertonungen von Clara und Robert Schuh­mann beein­dru­cken. Eine davon ist die Wid­mung, deren Reime vor­her in der Rückert-Show ein­ge­setzt wer­den muss­ten. Sie erscheint hier nun plötz­lich nicht mehr so banal und ein­mal mehr spielt die Stu­dio­bühne geschickt mit Brü­chen, um dia­lek­ti­sche Kom­ple­xi­tät zu errei­chen, die trotz­dem nicht in unbe­frie­di­gen­dem Sinn frag­men­ta­risch bleibt, denn:

Zuletzt, wo so viel Kleinstes/ Sich still ver­band, entstand/ Ein Gro­ßes, Allgemeinstes.

Vera Pods­kalsky

http://www.reflexmagazin.de/2014/12/03/rueckert/