Werther 2.0

Werther_3_14_10Es gibt kaum ein Werk der klas­si­schen Welt­li­te­ra­tur, das trie­fen­der, kit­schi­ger und schnul­zi­ger ist, als J. W. Goe­thes Brief­ro­man Die Lei­den des jun­gen Wert­her. Auch wenn sich einige Zeit­ge­nos­sen dar­auf­hin das Leben nah­men (nicht weil das Buch etwa so schlecht sei, son­dern sie sich so mit dem sui­zi­da­len Wert­her asso­zi­ier­ten), bringt das Buch heute nur noch ver­ächt­li­ches Schnau­ben bei vie­len Intel­lek­tu­el­len her­vor. Darum hat die Stu­dio­bühne Erlan­gen aus dem Werk eine gran­dios gro­teske Kurz­ko­mö­die gemacht.

Wert­her from Outer Space heißt das von David Becker insze­nierte Stück, das ges­tern seine Pre­miere fei­erte: Ein Außer­ir­di­scher auf Auf­klä­rungs­mis­sion lan­det auf der Erde und stellt zunächst die Liebe als inhä­ren­tes Spe­zi­fi­kum der Mensch­heit fest, die er dar­auf­hin erkun­den will. Er ori­en­tiert sich an Goe­thes Brief­ro­man, um wahre Liebe in der Gegen­wart zu fin­den. So nimmt er den Namen Wert­her an und trifft auf die übli­chen Ver­däch­ti­gen, wie Lotte, Albert et al.

Wert­her (gespielt von Gabor Boz­sik), der — nicht ganz nach­voll­zieh­bar — abge­hackt wie ein Robo­ter spricht, muss jedoch fest­stel­len, dass sich Spra­che und Stil der Erden­be­woh­ner ziem­lich gewan­delt haben. Er lan­det zwi­schen Pro­sti­tu­ier­ten, Dro­gen­süch­ti­gen und arbeits­lo­sen Gamm­lern, Nazi-Jobvermittlerinnen, sexu­ell miss­brauch­ten Gum­mi­pal­men, aso­zia­len Plau­zen und selbst Lotte (per­so­ni­fi­ziert durch San­dra Kno­cke), in die er sich unsterb­lich ver­liebt, ist hier eine Räu­be­rin und Zuhäl­te­rin. Die Ähn­lich­kei­ten mit Goe­the beste­hen ergo nur noch peri­pher: Wert­her ver­liebt sich in Lotte, beide kön­nen nicht zusam­men sein und er bringt sich um. Der Rest ist eine schrille, bizarre, obs­zöne, wild-anarchische und respekt­lose Komö­die, die stark über­spitzt und mit zahl­rei­chen humo­ris­ti­schen Ver­frem­dun­gen zeigt, wie es jetzt so mit der Liebe und der Men­schen­würde zugeht.

Nicht nur Goe­the meets Rea­lity TV

Werther_3_14_46Das Sta­tio­nen­drama fun­giert aber nicht nur unter dem bana­len Motto Goe­the meets Rea­lity TV, son­dern geht, nicht durch seine sim­ple Hand­lung, son­dern durch seine Dar­stel­lung, wei­ter: Liebe wird hier auf den (meist kos­ten­pflich­ti­gen) Koitus redu­ziert. So sind die ers­ten, die mit Wert­her über Liebe/Sex spre­chen, die zuge­dröhn­ten Pro­sti­tu­ier­ten Lisa und Lara („Für 10 Mäuse mehr, darfst du mir deine Liebe im gan­zen Gesicht ver­tei­len!“); auch ein herr­lich gelang­weil­tes, über­ge­wich­ti­ges, wie eine Fee geklei­de­tes Ora­kel (Marie-Christin Schwab) gibt ihm einen Ring, um das Herz Lot­tes zu „erobern“ und Kalle (Den­nis Dre­her), ein, ein zu enges Unter­hemd tra­gen­der typi­scher Assi-Trinker, gibt ihm joviale, fla­che Tipps und rät, sich von Lotte fern­zu­hal­ten, weil diese Albert, ihrem Kum­pan, ver­spro­chen sei. Doch selbst Sex ist nicht nur aus­schlag­ge­bend, es geht auch immer um Geld und Gewalt.

Wäh­rend diese Bot­schaft beim Zuschauer für Ernüch­te­rung sor­gen könnte, wird sie durch zahl­rei­che krasse Gro­tes­ken einer­seits unter­füt­tert; ande­rer­seits gelingt damit ihre Meta­mor­phose in zahl­rei­che hef­tige Lacher. So trägt etwa die kri­mi­nelle Lotte ein Pet­ti­coat, redet auch sin­gu­lär roman­tisch und naiv, bis sie Wert­her den Ring ent­raubt und abhaut; die trau­rigs­ten Sze­nen wer­den durch fröh­li­che Songs dar­ge­stellt. Gene­rell ist der Ein­satz gro­tes­ker Musik eine starke Kon­stante, wie Pretty Woman zu Lisas Tod.

Par­al­lel­ge­schich­ten

Gut ver­deut­licht wird das Ganze auch durch das Büh­nen­bild: So gehen die drei pro­vi­so­risch ein­ge­rich­te­ten Büh­nen­bil­der (Stra­ßen­strich, Arbeits­amt und eine abge­fuckte Bar) flie­ßend inein­an­der über und – dies zeigt die Liebe zum Detail – die jewei­li­gen Hand­lun­gen lau­fen immer par­al­lel im Hin­ter­grund wei­ter und sor­gen für Ernüch­te­rung und Entkitschung.

Ins­ge­samt han­delt es sich also um einen Poin­ten jagen­den, hin­ter­grün­di­gen, für zahl­rei­che Lacher sor­gen­den, jedoch für die knappe Stunde über­mä­ßig mit Gags und Ele­men­ten gefüll­ten Thea­ter­abend, der nichts ernst nimmt — auch nicht Goe­the oder die eigene Repro­duk­tion von Ste­reo­ty­pen, die immer wie­der von Gro­tes­ken durch­bro­chen werden.

Wei­tere Auf­füh­run­gen von Wert­her from Outer Space sind am 17. und 24. März, je um 19.30 Uhr im Fran­ken­hof, Süd­li­che Stadt­mau­er­straße 35, Erlan­gen. Der Ein­tritt kos­tet 6 Euro (ermä­ßigt 4 Euro). Wei­tere Infos gibt es unter: http://www.studiobuehne-erlangen.de/werther-from-outer-space/.

Phi­lip J. Dingeldey
http://www.reflexmagazin.de/2014/03/13/werther-2-0/