Werther 2.0
Es gibt kaum ein Werk der klassischen Weltliteratur, das triefender, kitschiger und schnulziger ist, als J. W. Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther. Auch wenn sich einige Zeitgenossen daraufhin das Leben nahmen (nicht weil das Buch etwa so schlecht sei, sondern sie sich so mit dem suizidalen Werther assoziierten), bringt das Buch heute nur noch verächtliches Schnauben bei vielen Intellektuellen hervor. Darum hat die Studiobühne Erlangen aus dem Werk eine grandios groteske Kurzkomödie gemacht.
Werther from Outer Space heißt das von David Becker inszenierte Stück, das gestern seine Premiere feierte: Ein Außerirdischer auf Aufklärungsmission landet auf der Erde und stellt zunächst die Liebe als inhärentes Spezifikum der Menschheit fest, die er daraufhin erkunden will. Er orientiert sich an Goethes Briefroman, um wahre Liebe in der Gegenwart zu finden. So nimmt er den Namen Werther an und trifft auf die üblichen Verdächtigen, wie Lotte, Albert et al.
Werther (gespielt von Gabor Bozsik), der — nicht ganz nachvollziehbar — abgehackt wie ein Roboter spricht, muss jedoch feststellen, dass sich Sprache und Stil der Erdenbewohner ziemlich gewandelt haben. Er landet zwischen Prostituierten, Drogensüchtigen und arbeitslosen Gammlern, Nazi-Jobvermittlerinnen, sexuell missbrauchten Gummipalmen, asozialen Plauzen und selbst Lotte (personifiziert durch Sandra Knocke), in die er sich unsterblich verliebt, ist hier eine Räuberin und Zuhälterin. Die Ähnlichkeiten mit Goethe bestehen ergo nur noch peripher: Werther verliebt sich in Lotte, beide können nicht zusammen sein und er bringt sich um. Der Rest ist eine schrille, bizarre, obszöne, wild-anarchische und respektlose Komödie, die stark überspitzt und mit zahlreichen humoristischen Verfremdungen zeigt, wie es jetzt so mit der Liebe und der Menschenwürde zugeht.
Nicht nur Goethe meets Reality TV
Das Stationendrama fungiert aber nicht nur unter dem banalen Motto Goethe meets Reality TV, sondern geht, nicht durch seine simple Handlung, sondern durch seine Darstellung, weiter: Liebe wird hier auf den (meist kostenpflichtigen) Koitus reduziert. So sind die ersten, die mit Werther über Liebe/Sex sprechen, die zugedröhnten Prostituierten Lisa und Lara („Für 10 Mäuse mehr, darfst du mir deine Liebe im ganzen Gesicht verteilen!“); auch ein herrlich gelangweiltes, übergewichtiges, wie eine Fee gekleidetes Orakel (Marie-Christin Schwab) gibt ihm einen Ring, um das Herz Lottes zu „erobern“ und Kalle (Dennis Dreher), ein, ein zu enges Unterhemd tragender typischer Assi-Trinker, gibt ihm joviale, flache Tipps und rät, sich von Lotte fernzuhalten, weil diese Albert, ihrem Kumpan, versprochen sei. Doch selbst Sex ist nicht nur ausschlaggebend, es geht auch immer um Geld und Gewalt.
Während diese Botschaft beim Zuschauer für Ernüchterung sorgen könnte, wird sie durch zahlreiche krasse Grotesken einerseits unterfüttert; andererseits gelingt damit ihre Metamorphose in zahlreiche heftige Lacher. So trägt etwa die kriminelle Lotte ein Petticoat, redet auch singulär romantisch und naiv, bis sie Werther den Ring entraubt und abhaut; die traurigsten Szenen werden durch fröhliche Songs dargestellt. Generell ist der Einsatz grotesker Musik eine starke Konstante, wie Pretty Woman zu Lisas Tod.
Parallelgeschichten
Gut verdeutlicht wird das Ganze auch durch das Bühnenbild: So gehen die drei provisorisch eingerichteten Bühnenbilder (Straßenstrich, Arbeitsamt und eine abgefuckte Bar) fließend ineinander über und – dies zeigt die Liebe zum Detail – die jeweiligen Handlungen laufen immer parallel im Hintergrund weiter und sorgen für Ernüchterung und Entkitschung.
Insgesamt handelt es sich also um einen Pointen jagenden, hintergründigen, für zahlreiche Lacher sorgenden, jedoch für die knappe Stunde übermäßig mit Gags und Elementen gefüllten Theaterabend, der nichts ernst nimmt — auch nicht Goethe oder die eigene Reproduktion von Stereotypen, die immer wieder von Grotesken durchbrochen werden.
Weitere Aufführungen von Werther from Outer Space sind am 17. und 24. März, je um 19.30 Uhr im Frankenhof, Südliche Stadtmauerstraße 35, Erlangen. Der Eintritt kostet 6 Euro (ermäßigt 4 Euro). Weitere Infos gibt es unter: http://www.studiobuehne-erlangen.de/werther-from-outer-space/.
Philip J. Dingeldey
http://www.reflexmagazin.de/2014/03/13/werther-2-0/