Woyzeck – Live in Concert

 

Veröffentlicht am 28.11.2016 von Nico Hilscher

Andreas Pommer im Interview mit dem Reflexmagazin

Bild: Jonas Nekolla

Andreas Pommer hat es wieder einmal geschafft. Ein altbekanntes Stück neu zu inszenieren und auf eine enorm vielsagende und vielseitige Weise zu bewerben, den potentiellen Zuschauer dann doch fragend, aber neugierig zurückzulassend.
Deshalb trafen wir uns mit ihm, um diese Fragen zu klären und über die Bedeutung von klassischen deutschen Werken, anstrengende und doch angenehme Probephasen, die Symbiose von Musik und Theater und natürlich „Woyzeck“ zu sprechen.

re>flex: Beginnend eine Frage zu dir. Ich habe gesehen, dass dein erstes produziertes Stück  „Nach dem Frühlings Erwachen“ gewesen ist, welches eines der erfolgreichsten Stücke der Studiobühne ist.

Andreas: (lacht) Das haben sie netterweise vor vier Jahren da reingeschrieben, und seit dem hatten wir schon viele tolle Sachen, aber es hat niemand gelöscht, deswegen steht das jetzt immer noch da.

Hast du Druck, wenn du ein neues Stück inszenierst?  Also hat man da das Gefühl, dass da eine Erwartungshaltung von den Zuschauern ist, die man erfüllen muss?

Ja tatsächlich, also es ist mir immer wichtig. Wird das Stück ästhetisch gut? Bin ich zufrieden mit den einzelnen Szenen? Hat man am Ende noch genügend Zeit, um es gut zu machen? Kommen genügend Schauspieler? Fährt man kein Minus ein damit? Das sind viele Sachen, die schwingen so im Hinterkopf mit. Und das gehört auch zum Theater dazu. Ja, das ist auf jeden Fall so, dass ich mir da Gedanken mache.

Weil du gerade den Punkt der eigenen Zufriedenheit angesprochen hast. Was ist dir wichtiger? Eigene Zufriedenheit? Oder gehst du dann schon ein bisschen nach der Publikumshaltung, dass es da gut ankommt.

Ich hatte bisher immer das Glück, dass wenn es mir gefallen hat, dem Publikum auch gefallen hat. Und ich glaube einfach, dass das auch in Zukunft so sein wird. Ich hoffe, dass das beides nicht auseinanderdriftet, sondern dass das sehr ähnlich ist.

Nun legen wir den Fokus auf Woyzeck. Wie kam es dazu, dass du dich für „Woyzeck“ entschieden hast?

Ich habe letztes Jahr Faust inszeniert und habe, als ich Faust gemacht habe, für mich beschlossen, dass ich jetzt eine Reihe deutscher Klassiker mache. Also Faust und Woyzeck, danach vielleicht Nathan der Weiße oder die Räuber, das werden wir dann sehen. Ich finde an deutschen Klassikern hat man den großen Vorteil, dass man davon ausgehen kann, dass die meisten unserer Zuschauer diese Stücke kennen, weil sie sie entweder schon mal im Theater gesehen oder in der Schule gelesen haben. Und dadurch hat man eine größere Freiheit in der Interpretation, als man sie bei anderen Stücken hat. Man kann mit diesem Vorwissen des Publikums einfach spielen und das finde ich besonders spannend. Außerdem ist Woyzeck eines der größten Stücke, die wir im deutschen Theater haben und daher ist es immer relevant und interessant, sich diesem Stück zu widmen.

Hast du dabei aber keine Angst? Wie du schon selbst angesprochen hast, kennt dieses Stück so gut wie jeder, da könnte es doch gut sein, dass die Menschen keine Lust mehr haben und übersättigt sind?

Ich hab die Erfahrung nicht gemacht. Ich bin jetzt auch schon länger in der Studiobühne Erlangen dabei und da werden im Jahr so zehn Stücke inszeniert. Und man sieht doch immer wieder, dass die Stücke, die bekannte Namen haben, schon einen großen Vorteil haben. Da kommen einfach grundsätzlich mehr Leute. Das kann noch ein so toll inszeniertes Stück sein, wenn es einen Namen hat, der niemandem etwas sagt, dann werden weniger Zuschauer kommen. Von daher hab ich nicht das Gefühl, dass das Erlanger Publikum, zumindest das Publikum, das wir ansprechen, in irgendeiner Form übersättigt ist davon.

Also hast du auch keine Angst aufgrund der Woyzeck-Produktion des letzen Monats? Siehst du das eventuell auch als Ansporn um eine andere Herangehensweise, und somit etwas Neues zu zeigen?

Ja, das war natürlich super, das die TheWi-Studenten schon mal vor einem Monat Woyzeck aufgeführt haben. Da haben wir ganz schön geschaut, als auf einmal die Plakate dort hingen. Aber unser Ansatz ist hinreichend unterschiedlich, so dass es sich eigentlich fast um zwei komplett unterschiedliche Stücke handelt. Die TheWi-Studenten haben das ganz großartig gemacht. Sie wollten, dass man so richtig mitfühlen kann mit den Charakteren. Und das haben sie klasse umgesetzt. Wir verfolgen einen postmodernen Ansatz. Bei uns ist das Stück fragmentarisch, experimentell und in gänzlicher Weise anders, als man das normalerweise so gewohnt ist.

Und wie würdest du jetzt dieses anders beschreiben? Auf eurer Internetseite der Studiobühne steht ja auch, dass es sehr innovativ ist. Was ist da so die neue Herangehensweise an das Stück?

Unsere neue Herangehensweise an das Stück ist, dass wir versuchen ein Konzert zu imitieren. Wir haben uns die Frage gestellt, was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Konzert und einem Theaterstück. Warum glauben wir es einem Frontman einer Band, wenn er zwei traurige Songs spielt und zwischendrin einen Witz erzählt? Und was passiert, wenn das Schauspieler plötzlich zwischen ihren Szenen machen? Und diese Frage stellen wir uns mit dieser Inszenierung. Die funktioniert wie ein Konzert. Einzelne Songs, einzelne Szenen, werden separat voneinander gespielt, mit kleinen Pausen dazwischen und einer aufbauenden Setlist. Das ist unser Ansatz.

Also würdest du sagen, dass es mehr ein Konzert als ein Theaterstück ist?

Es ist weder noch, oder beides. Wir haben Livemusik die jede Szene unterlegt, wobei unterlegt sogar das falsche Wort ist. Das ist wie ein integraler Bestandteil jeder Szene. Wobei das Schauspiel natürlich auch da ist. Vielleicht bieten wir ein bisschen von beidem, und schaffen etwas Neues. Wir sind, so haben wir es auf unseren Flyern genannt, Grenzgänger zwischen Musik und Theater.

Ihr habt euch aber klar davon abgegrenzt, dass es kein Musical ist. Die Leute könnten ja schnell darauf kommen bei der Kombination von Musik und Theater.

(lacht) Jaja, das ist richtig. Eventuell kommen deswegen auch so viele Leute. Wir haben viele Reservierungen. Vielleicht denken sie alle, es ist ein Musical. Die ziehn auch sonst immer. Aber nein, es ist kein Musical. Bei uns ist nichts gesungen. Es ist Musik und Theater, gleichzeitig, alles in allem.

Seid ihr durch diesen Konzertaspekt auch auf die Idee mit den Vorbands gekommen? Das ist schon etwas total Neues, denn man kennt es so nicht, dass vor einem Theaterstück noch irgendwelche Musiker performen.

Das ist genau deswegen. Um den Konzertcharakter unserer Inszenierung und unseres Abends zu betonen. Denn wenn wir das gleich etablieren mit einer Vorband, dann wird gespielt und geklatscht zwischen den Songs. Und dann stellen sich die Leute gleich ganz anders auf das, was sie später sehen werden, ein und sind nicht so „überfahren“,  wie wenn wir einfach gleich auf die Bühne sind.

Gab es für die Acts bestimmte Kriterien? Wie kam es zu genau diesen Bands? Bei einem Künstler ist es logisch, da er zur Studiobühne gehört. Ein Überaschungsact. Aber wie war es bei den beiden Anderen? Einfach nur weil sie euch gefallen?

Letztendlich haben wir sie gewählt, weil sie uns gefallen. Wir haben mehrere Bands angefragt. Viele hatten auch Lust und dann haben wir einfach die ausgesucht, die am Besten zu dem Gesamtstil des Abends passen. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die Band, die am Donnerstag spielt, ist musikalisch einfach sehr ähnlich mit dem, was wir machen. Bei der Band am Freitag sind die Texte auf Deutsch, leicht verständlich und gehen häufig auch über Liebe und Schmerz. Das ist später natürlich auch das zentrale Thema, das wir dann in Woyzeck behandeln.

Andreas Pommer im Interview mit dem Reflexmagazin                                                         Bild: Jonas Nekolla

Wie waren die Proben? Welche Art von Komplikationen gab es?

Das war glaub ich die komplizierteste Probephase die ich jemals hatte, weil wir ja immer mit Livemusik geprobt haben. Das heißt, man muss schon einmal immer einen Verstärker dabei haben und eine Gitarre, und man kann nicht einfach mittendrin eine Szene unterbrechen, und sagen: Spiel das mal mit mehr Gefühl oder so. Man muss direkt von vorne anfangen, weil das mit der Musik ja perfekt getimed ist. Und das war eine große Herausforderung. Wir benutzen auch auf der Bühne ständig Mikrofone. Und diese Mikrofone können wir aber nur im Aufführungsort anschließen. In unserem Proberaum haben wir gar keine Anlage, wo wir Mikrofone anschließen können. Also da hatten wir ganz ganz große Herausforderungen. Probleme ist jetzt vielleicht Quatsch, da wir ja alles gelöst haben und alles gut ist, aber es war viel schwieriger als die anderen Stücke, die ich so gemacht habe.

Und wie kam es dann dazu, dass ihr in Zimmern von Leuten geprobt habt (was zumindest in den Facebook Videos den Anschein macht). Hatte das bestimmte Gründe oder habt ihr einfach keinen Ort, um da auszuweichen?

Also die Studiobühne Erlangen probt an verschiedenen Orten in Erlangen. Wir waren eine Zeit lang im Gemeindezentrum am Berliner Platz, ’ne Zeit lang in unserem Proberaum in Dechsendorf. Der sieht halt auch ein bisschen aus wie ein Wohnzimmer. Das verwechselt man schon ein bisschen. Gestern hatten wir tatsächlich unsere Generalprobe in einem Wohnzimmer. Das war sehr nett, da haben wir gesagt, das nächste Mal müssen wir mal ein Wohnzimmertheaterkonzert machen. Wenn es Wohnzimmerkonzerte gibt müsste es das eigentlich auch mit Theater geben. Das war super nett. Da saßen wir alle so auf dem Sofa und haben dann so unsere Texte gesprochen. Musik gemacht. Das war total gemütlich. Hat mir richtig gut gefallen.

Also zusammenfassend klingt es so, als ob es eine doch recht spaßige und angenehme Probezeit war.

Ja, es war eine sehr angenehme Probezeit. Eine große Herausforderung, aber eine sehr angenehme Probezeit. Das liegt natürlich vor allem an den wahnsinnig tollen Schauspielern, die ich habe, die fantastische Schauspieler, fantastische Menschen und auch gute Freunde sind.

In Woyzeck geht es ja eigentlich hauptsächlich darum, dass die Hauptperson dem Wahnsinn verfällt. Wie wollt ihr das dann darstellen? Wenn ich nach den Ausschnitten auf Facebook gehe (die Doktor Szene), dann wirkt es so, dass die verschiedenen Schauspieler/Stimmen den Wahnsinn verkörpern und für den Zuschauer greifbarer machen sollen.

Genau, das ist richtig. Wir spielen mit Doppelbesetzungen an vielen Stellen. In der Doktor Szene haben wir vier Doktoren und einen Woyzeck. An anderen Stellen haben wir mehrere Woyzecks und eine Marie. Und das wechselt von Szene zu Szene, da jede Szene eine abgeschlossene Einheit wie ein Song ist. Und dann wählen wir immer genau die Konstellation, die unserer Meinung nach die aktuelle Stimmungslage am besten verkörpert.

Gibt es da nicht Komplikationen mit den Zuschauern, wenn die Besetzung ständig wechselt? Nicht dass das Publikum den Durchblick verliert.

Ja, die gibt es, aber damit kommen wir wieder zurück zur Idee: Warum deutsche Klassiker? Das kann ich mit einem deutschen Klassiker machen. Wo ich den Fokus auf Woyzeck und Marie habe, und eventuell noch den Doktor und den Tambourmajor kennen muss. Und die kann ich relativ schnell identifizieren. Wenn ich jetzt aber ein sehr abstraktes postmodernen Stück mache, zum Beispiel etwas von Sarah Kayne, dann kann ich das nicht, dann verwirrt es da Publikum viel schneller. Also ich glaube, der postmoderne Ansatz ist für Klassiker gut geeignet.

Ich habe ja schon angesprochen, dass ihr viele Videos und Bilder zu dem Stück vorab aus Werbezwecken über Facebook verbreitet habt. Habt ihr nicht die Befürchtung, dem Zuschauer zu viel vorwegzunehmen? Das Prinzip kennt man ja auch bei Kinotrailern.

Das ist auch immer eine große Sorge meiner Schauspieler gewesen. Ich persönlich kann von Theater nicht gespoilert werden. Und ich finde Theater ist etwas anders als Kino, denn da geh ich nicht rein und denke mir, dass ich die besten Szenen schon gesehen habe. Jeder Abend ist da etwas besonderes, weil eine Chemie zwischen den Auftretenden und den Zuschauern entsteht. Deswegen denke ich, ist das für Theater nicht so relevant. Ich muss aber auch dazu sagen, dass wir so einige Schmankerl nicht gezeigt haben. Wenn man dann am Donnerstag und am Samstag und am Freitag kommt ist da noch viel, das es zu entdecken gibt.

Das Interview führte Nico Hilscher.

Die kommenden Stücke der Studiobühne findet ihr hier.

 

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