Sie haben eine Literaturkurznachricht erhalten …
Das kann einen schon das Gruseln lehren, wenn man den vier Gestalten auf der Bühne so zusieht. Anfangs wirkt alles noch harmlos. Eingedampft in Kunstnebel und mit Rave-Musik benebelt probieren die Zuschauer die 3D Brillen aus und erwarten … noch nichts, denn weder die Musik, noch die vier Schauspieler auf der Bühne lassen erkennen, was es mit dem Literaturbo 3D auf sich hat. Der Flyer zum Stück verkündet auch nur, dass alle, die nicht tanzen wollen, lieber daheim geblieben wären. Zumindest lässt das ahnen, dass es hier weniger um eine szenische Lesung, als um literarisch untermalte Szenen geht. Gelungen ist Regisseur Michale Hörners Inszenierung schon deshalb, weil sie den Text nicht vergisst, sondern auf verschiedensten Ebenen wieder spürbar werden lässt.
Stifter aus der Unterhose
So müssen die Zuschauer rasch erfahren, wie unangenehm Literatur werden kann, wenn sie erst einmal anfängt die proletarischen Massen zu beeinflussen. Der Schauspieler zerrt sein Reclam-Heft aus der Feinrippunterhose und eröffnet die Lesung mit der lauten Proklamation von Adalbert Stifters Brigitta. Ein Text, den er nicht nur liest, sondern vor Ekstase schließlich in Tomatensoße aufkocht und verschlingt. Dermaßen in die Rolle des schmutzigen Proleten hineinverdaut, verwandeln sich selbst die gewandtesten Sätze zu Zoten, so etwa, wenn es bei Stifter heißt, manche Schönheit werde verkannt, weil für sie „das rechte Aug noch nicht gekommen“ ist.
Die Figur mag manchem Zuschauer schon ordentlich auf den Magen schlagen, trotzdem ist nicht zu leugnen, dass sie in ihrer Bildungs– und Textferne Stifters Poesie doch eine paradoxe Körperlichkeit gibt. Geradliniger setzt Anna Beinvogl ihr Manifest nach Lord Johnson um. Wie eine automatisch wiedergegebene Literaturkurznachricht, rattert sie allzu einleuchtende Thesen herunter. Ausgehend von dem Gedanken, dass nicht etwa das Wirtschaftssystem an der aktuellen Krise schuld ist, wird maschinell und mit überschaubarer Logik festgestellt: Der Fehler liegt in der Gesellschaft! Sie muss sich einfach anpassen! Sehr schön!
Gelesen wird nach Eieruhr
Dass sich die drei anderen Akteure auf der Bühne überhaupt nicht in das Schema Beinvogls fügen, lässt den automatisierten Homo Oeconomicus ständig anecken, so dass sie schließlich immer mehr Fehlfunktionen entwickelt – es wird Zeit für eine Abschaltung und Erneuerung des Produktes. Schnell muss es ja ohnehin gehen, beim Literaturturbo. Ziemlich genau eine Stunde haben die Akteure für alles und je drei Leseeinlagen. Das ist ziemlich wenig, gerade auch für eine Figur wie die von David Becker. „Alter! Fotzen!“ schreit der erst mal und beginnt dann sich mit Mörike Gedichten das Lesen beizubringen.
Weniger auf den Text als eher auf dessen Funktion hebt Anne Hoffmann ab, die ihrem Gummihuhn das Märchen von dem verliest, der auszog das Gruseln zu lernen. Dabei trifft sie stets genau den richtigen ton und – für wahr – wer noch nicht gestorben ist, der lauschte ihr gewiss am liebsten noch heute. Schade also, dass es ihr gelingt pünktlich zum Schellen der Eieruhr fertig zu werden.
Literatur muss nicht gefallen…
… sie sollte eher zum Nachdenken anregen. Das will Michael Hörner offenbar auch und provoziert dementsprechend lieber. Einige Definitionen angreifend, die das Lexikon von Literatur gibt, hat er ein ästhetisches Wechselbad geschaffen, das gewiss nicht schön sein will, aber einen überaus unterhaltsamen Abend garantiert, getragen von der sehr guten spielerischen Leistung aller vier Akteure und flankiert von effektvoll unaufdringlicher Technik (Christoph Eichhammer). Sollte man sich eigentlich nicht entgehen lassen…
Dennis Dreher
http://www.reflexmagazin.de/2013/01/26/sie-haben-eine-literaturkurznachricht-erhalten/