Sie haben eine Literaturkurznachricht erhalten …

dsc_0071Das kann einen schon das Gru­seln leh­ren, wenn man den vier Gestal­ten auf der Bühne so zusieht. Anfangs wirkt alles noch harm­los. Ein­ge­dampft in Kunst­ne­bel und mit Rave-Musik bene­belt pro­bie­ren die Zuschauer die 3D Bril­len aus und erwar­ten … noch nichts, denn weder die Musik, noch die vier Schau­spie­ler auf der Bühne las­sen erken­nen, was es mit dem Lite­ra­turbo 3D auf sich hat. Der Flyer zum Stück ver­kün­det auch nur, dass alle, die nicht tan­zen wol­len, lie­ber daheim geblie­ben wären. Zumin­dest lässt das ahnen, dass es hier weni­ger um eine sze­ni­sche Lesung, als um lite­ra­risch unter­malte Sze­nen geht. Gelun­gen ist Regis­seur Michale Hör­ners Insze­nie­rung schon des­halb, weil sie den Text nicht ver­gisst, son­dern auf ver­schie­dens­ten Ebe­nen wie­der spür­bar wer­den lässt.

Stif­ter aus der Unterhose

So müs­sen die Zuschauer rasch erfah­ren, wie unan­ge­nehm Lite­ra­tur wer­den kann, wenn sie erst ein­mal anfängt die pro­le­ta­ri­schen Mas­sen zu beein­flus­sen. Der Schauspieler zerrt sein Reclam-Heft aus der Fein­ripp­un­ter­hose und eröff­net die Lesung mit der lau­ten Pro­kla­ma­tion von Adal­bert Stif­ters Bri­gitta. Ein Text, den er nicht nur liest, son­dern vor Ekstase schließ­lich in Toma­ten­soße auf­kocht und ver­schlingt. Der­ma­ßen in die Rolle des schmut­zi­gen Pro­le­ten hin­ein­ver­daut, ver­wan­deln sich selbst die gewand­tes­ten Sätze zu Zoten, so etwa, wenn es bei Stif­ter heißt, man­che Schön­heit werde ver­kannt, weil für sie „das rechte Aug noch nicht gekom­men“ ist.

Die Figur mag man­chem Zuschauer schon ordent­lich auf den Magen schla­gen, trotz­dem ist nicht zu leug­nen, dass sie in ihrer Bil­dungs– und Text­ferne Stif­ters Poe­sie doch eine para­doxe Kör­per­lich­keit gibt. Gerad­li­ni­ger setzt Anna Bein­vogl ihr Mani­fest nach Lord John­son um. Wie eine auto­ma­tisch wie­der­ge­ge­bene Lite­ra­tur­kurz­nach­richt, rat­tert sie allzu ein­leuch­tende The­sen her­un­ter. Aus­ge­hend von dem Gedan­ken, dass nicht etwa das Wirt­schafts­sys­tem an der aktu­el­len Krise schuld ist, wird maschi­nell und mit über­schau­ba­rer Logik fest­ge­stellt: Der Feh­ler liegt in der Gesell­schaft! Sie muss sich ein­fach anpas­sen! Sehr schön!

Gele­sen wird nach Eieruhr

Dass sich die drei ande­ren Akteure auf der Bühne über­haupt nicht in das Schema Bein­vogls fügen, lässt den auto­ma­ti­sier­ten Homo Oeco­no­mi­cus stän­dig anecken, so dass sie schließ­lich immer mehr Fehl­funk­tio­nen ent­wi­ckelt – es wird Zeit für eine Abschal­tung und Erneue­rung des Pro­duk­tes. Schnell muss es ja ohne­hin gehen, beim Lite­ra­tur­turbo. Ziem­lich genau eine Stunde haben die Akteure für alles und je drei Lesee­in­la­gen. Das ist ziem­lich wenig, gerade auch für eine Figur wie die von David Becker. „Alter! Fot­zen!“ schreit der erst mal und beginnt dann sich mit Mörike Gedich­ten das Lesen beizubringen.

Weni­ger auf den Text als eher auf des­sen Funk­tion hebt Anne Hoff­mann ab, die ihrem Gum­mi­huhn das Mär­chen von dem ver­liest, der aus­zog das Gru­seln zu ler­nen. Dabei trifft sie stets genau den rich­ti­gen ton und – für wahr – wer noch nicht gestor­ben ist, der lauschte ihr gewiss am liebs­ten noch heute. Schade also, dass es ihr gelingt pünkt­lich zum Schel­len der Eier­uhr fer­tig zu werden.

Lite­ra­tur muss nicht gefallen…

… sie sollte eher zum Nach­den­ken anre­gen. Das will Michael Hör­ner offen­bar auch und pro­vo­ziert dem­ent­spre­chend lie­ber. Einige Defi­ni­tio­nen angrei­fend, die das Lexi­kon von Lite­ra­tur gibt, hat er ein ästhe­ti­sches Wech­sel­bad geschaf­fen, das gewiss nicht schön sein will, aber einen über­aus unter­halt­sa­men Abend garan­tiert, getra­gen von der sehr guten spie­le­ri­schen Leis­tung aller vier Akteure und flan­kiert von effekt­voll unauf­dring­li­cher Tech­nik (Chris­toph Eich­ham­mer). Sollte man sich eigent­lich nicht ent­ge­hen lassen…

Den­nis Dreher
http://www.reflexmagazin.de/2013/01/26/sie-haben-eine-literaturkurznachricht-erhalten/