Wer hat Angst vor Mutter Courage

Es ist auf­fäl­lig, dass die Stu­dio­bühne Erlan­gen vor allem immer bes­sere Schau­spie­ler auf­wei­sen kann, neben der immer span­nen­der wer­den­den Aus­wahl an Stü­cken und deren Umset­zung. Erin­nern wir uns allein an die letzte Spiel­zeit. „War­ten auf Godot“, „Nach dem Früh­lings­er­wa­chen“, „Faust“. Nor­ma­ler­weise graust es einem als Thea­ter­wis­sen­schaft­ler vor Lai­en­schau­spiel, star­rem am-Text-Kleben-Bleiben und Stu­dio­büh­nen. In der Stu­dio­bühne Erlan­gen dage­gen ver­su­che ich inzwi­schen, keine neue Insze­nie­rung zu ver­pas­sen. Und es lohnt sich immer wie­der! Nach einem  impo­san­ten Auf­takt der Stu­dio­bühne mit „Remain Cheer­ful till the End“, wagte sie sich für ihre zweite Insze­nie­rung der jet­zi­gen Spiel­zeit unter der Regie von Mat­thias Nad­ler und der Dra­ma­tur­gie von Maxi­mi­lian Nix an einen der gro­ßen Bro­cken des letz­ten Jahr­hun­derts — Brecht’s „Mut­ter Cou­rage und ihre Kin­der“. Und das mit Erfolg!

Die erste Szene ist noch sehr kon­ven­tio­nell gestal­tet: Brecht’sche Spra­che durch und durch, die Mut­ter Cou­rage ist eine hef­tig und schnell spre­chende Per­son, bei der man schon rich­tig hin hören muss, um sie zu ver­ste­hen. Aber das passt zu ihrem Wesen. Sie und ihre Kin­der wer­den vor­ge­stellt: der Eilif, die stumme Kat­trin und der Schwei­zer­kas, jedes der Kin­der von einem ande­ren Mann und wie­der von einem ande­ren für kurze Zeit auf­ge­zo­gen. Die Cou­rage bleibt nun mal nicht gern an einem ein­zel­nen Ort. Vom Feld­we­bel und sei­nem Sol­da­ten wird die Situa­tion im Land beschrie­ben, schon seit Ewig­kei­ten tobt der Krieg und kei­ner mel­det sich mehr frei­wil­lig. Und hat man schon einen unter den Tisch gesof­fen und ihn den Mel­de­schein unter­schrei­ben las­sen, braucht der nur zu rea­li­sie­ren und schon diser­tiert er.

Die Cou­rage hat kein Glück: Ihr Größ­ter, der Eilif, ihr liebs­tes Kind, lässt sich bequat­schen und rekru­tie­ren. Und dann ist er fort. Denn das ist es ja, was sich das Stück über hin­durch zieht: Mut­ter Cou­rage lebt vom Krieg — da wird sie ihm wohl auch was geben müs­sen. Bis zum Schluss wird sie ver­su­chen, ihre Kin­der vor den Schre­cken des Krie­ges zu bewah­ren, bis zum Schluss glaubt sie, wenigs­tens der Eilif sei ihr erhal­ten geblie­ben. Der Kon­flikt, den sie immer wie­der führt — Gewinn oder der Schutz ihrer Kin­der — bringt alle ihre Schütz­linge ins Grab.

Ohne viel Feder­le­sen ist diese erste Szene insze­niert, man fragt sich noch, ob die ganze Auf­füh­rung vor dem Vor­hang statt­fin­den wird, das öff­net sich der Vor­hang und legt den Blick frei auf ein Schlacht­feld aus Zei­tungs­pa­pier. Das zen­trale Ele­ment des Büh­nen­bil­des ist aller­dings die Rampe, die in das gesamte Spiel ein­be­zo­gen ist. Neu­trale Geschöpfe lesen die Schre­ckens­nach­rich­ten aus der Zei­tung vor, wie­der­ho­len ihr Worte immer wie­der und beschwö­ren so die kal­ten Bil­der des Krie­ges — und die Zeit ver­geht. Die Geschöpfe sind ein blei­ben­des Ele­ment der Auf­füh­rung. Sie sind die vor­beitan­zende Zeit, der Gän­se­h­aut­fak­tor und even­tu­ell das Gewis­sen der Mut­ter Cou­rage. Denn in Mat­thias‘ Nad­lers Insze­nie­rung wird man zwei Dinge nicht fin­den: Hoch­ge­hal­tene Schil­der, auf denen Zeit und Ort der nächs­ten Szene ste­hen und Gesangs­ein­la­gen nach Vor­lage von Paul Des­sau. Dafür wird Brecht’s „Mut­ter Cou­rage und ihre Kin­der“ mit vie­len neuen Ideen und Bil­dern gefüt­tert und das gehört sich ja auch so für eine Studiobühne.

Wie schon zu Beginn ange­deu­tet, glänzt diese Insze­nie­rung vor allem durch ihr schau­spie­le­ri­sche Leis­tung. Es lohnt sich schon, eine der Vor­stel­lun­gen zu besu­chen, um dem Spiel der Yvette (Nadine Rad­datz) zuzu­se­hen, dem Koch (David Becker) oder dem Feld­pre­di­ger (Mar­tin See­burg). Obwohl sie nichts sagt, viel­leicht auch gerade des­halb, sticht auch das Spiel der Kat­trin (Dany Hand­schuh) ins Auge.

Schon in der ers­ten Szene machen sowohl der Feld­we­bel (Patrick Vogel) als auch Eilif (Maxi­mi­lian Nix) auf sich auf­merk­sam. In wei­te­ren Sze­nen beste­chen vor allem auch Timo Sestu als treu doo­fer Schwei­zer­kas und Michael Roth als lis­ti­ger Wer­ber und spä­ter als Bauer.

In „Mut­ter Cou­rage und ihre Kin­der“ wird auf jeden Fall sicht­bar, dass Mat­thias Nad­ler es als Regis­seur ver­steht, ein gro­ßes Ensem­ble auf wir­kungs­volle Weise ein­zu­set­zen.Wer es die­sen Sams­tag noch schafft, sich das Stück 19:30 Uhr im Fran­ken­hof anzu­se­hen, der wird eine Reihe wun­der­vol­ler Sze­nen ent­de­cken, die zum Lachen, zum Gänsehaut-Bekommen, aber auch zum Schlu­cken sind. Und der wird auch her­aus­fin­den, was die welt­be­kannte Skulp­tur der drei Affen mit Mut­ter Cou­rage zu tun hat. Geht hin, es lohnt sich. Ich wün­sche euch viel Spaß!

Paula Linke
http://www.reflexmagazin.de/2012/11/17/wer-hat-angst-vor-der-mutter-courage/